RVG §§ 45, 49, 55, 58; RVG VV Vorbem. 3 Abs. 4 S. 1, Nrn. 2300, 3100, 3307
Leitsatz
- Die im Mahnverfahren entstandene 0,5-Widerspruchsgebühr nach Nr. 3307 VV ist auch im Vergütungsfestsetzungsverfahren nach § 55 RVG auf die gerichtliche Verfahrensgebühr des beigeordneten Rechtsanwalts nach Nr. 3100 VV anzurechnen.
- Entsprechend der Handhabung des Anrechnungstatbestandes der Vorbem. 3 Abs. 4 S. 1 VV betreffend die vorgerichtliche Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 (BGH NJW 2008, 1323) ist es auch im Rahmen der Festsetzung unerheblich, ob die Widerspruchsgebühr unstreitig, geltend gemacht, tituliert oder sogar schon beglichen ist (Fortführung von OLG Oldenburg OLGR 2009, 41).
- Im Anwendungsbereich des § 49 RVG, d.h. jenseits einer Wertgrenze von 3.000,00 EUR, hat die Anrechnung der Widerspruchsgebühr nach Nr. 3307 VV in der Weise zu erfolgen, dass die verminderte Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV nur um das 0,5fache des ermäßigten Vergütungssatzes nach der Tabelle zu § 49 RVG gekürzt wird (im Anschluss an Senat JurBüro 2008, 640).
OLG Bamberg, Beschl. v. 4.3.2009–4 W 75/08
1 Sachverhalt
Der antragstellende Rechtsanwalt ist der Beklagtenseite, für die er im Laufe des Jahres 2006 zunächst im Rahmen von Beratungshilfe tätig geworden war und später Widerspruch gegen den Mahnbescheid erhoben hatte, vom AG im Rahmen der Bewilligung von ratenfreier Prozesskostenhilfe beigeordnet worden. Nach Abschluss eines Prozessvergleichs vor dem AG hat der Beklagtenvertreter die Festsetzung einer Vergütung in Höhe von 577,75 EUR beantragt. Die Urkundsbeamtin des AG hat demgegenüber die Vergütung auf insgesamt 456,96 EUR festgesetzt, wobei zum einen die hälftige Geschäftsgebühr für die vorab vergütete Beratungshilfe nach Anm. Abs. 2 zu Nr. 2503 VV abgesetzt und außerdem entsprechend der Anm. zu Nr. 3307 VV auch die im Mahnverfahren angefallene 0,5-Widerspruchsgebühr in Höhe von (netto) 66,50 EUR auf die angemeldete 1,3-Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV angerechnet wurde.
Auf die Erinnerung des beigeordneten Rechtsanwalts hat das AG die Anrechnung der Widerspruchsgebühr entfallen lassen und die Vergütung auf insgesamt [456,96 EUR + (66,50 EUR + 19 % MWSt.) =] 536,10 EUR heraufgesetzt. Die zugelassene Beschwerde der Staatskasse blieb ohne Erfolg. In seinem Zurückweisungsbeschluss hat das LG im Wesentlichen ausgeführt:
Zwar könne sich die Staatskasse auch im Vergütungsfestsetzungsverfahren nach § 55 RVG grundsätzlich auf Anrechnungstatbestände berufen, weswegen die Urkundsbeamtin zu Recht die vorab vereinbarte Geschäftsgebühr aus der Beratungshilfe abgesetzt habe. Dagegen sei der Anrechnungstatbestand zu Nr. 3307 VV nach seinem Sinn und Zweck nicht erfüllt, weil der Beklagtenvertreter die 0,5-Verfahrensgebühr für die Einlegung des Widerspruchs gegen den Mahnbescheid weder vom Mandanten noch einem sonstigen Dritten erhalten habe. In einem solchen Fall könne die Staatskasse den beigeordneten Bevollmächtigten nicht darauf verweisen, dass er sich an seinen Mandanten zu halten habe, der arm i.S.d. Gesetzes und somit nicht leistungsfähig sei. Andernfalls würde der beigeordnete Rechtsanwalt schlechter als ein Wahlanwalt stehen, der im Normalfall die im Mahnverfahren angefallene Gebühr wenigstens im Wege der Zwangsvollstreckung realisieren könne. Die Richtigkeit des Ergebnisses werde im Übrigen durch die Vorschriften der § 58 Abs. 1 u. 2 RVG bestätigt.
Hiergegen richtet sich die von der Kammer wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache zugelassene weitere Beschwerde der Staatskasse, die die Ablehnung der Anrechnung der Widerspruchsgebühr als rechtsfehlerhaft (§§ 33 Abs. 4, 56 Abs. 2 RVG, 546 ZPO) rügt.
2 Aus den Gründen
Das nach den §§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 4 RVG statthafte und auch sonst zulässige Rechtsmittel der Staatskasse hat Erfolg und führt zur Wiederherstellung des Festsetzungsbeschlusses der Urkundsbeamtin des AG.
Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen ist die im Mahnverfahren angefallene 0,5-Widerspruchsgebühr auch auf die hier festzusetzende Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV anzurechnen.
1. Der Wortlaut der Anm. zu Nr. 3307 VV ist eindeutig und stimmt in dem hier interessierenden Regelungsteil mit der Vorbem. 3 Abs. 4 S. 1 VV über die anteilige Anrechnung der vorgerichtlich entstandenen Geschäftsgebühr überein. Beide Anrechnungsvorschriften verfolgen den übereinstimmenden Zweck, die Einarbeitung des Rechtsanwalts in denselben Sachverhalt nicht doppelt zu vergüten. Ein Rechtsanwalt, der bereits im Rahmen seiner vorgerichtlichen Tätigkeit bzw. des Mahnverfahrens mit der Sache befasst gewesen ist, bedarf in der Regel für die Prozessvertretung selbst eines geringeren Einarbeitungs- und Vorbereitungsaufwandes (vgl. zum einen BGH NJW 2008, 878 und 1323; OLG Oldenburg OLGR 2009, 41 = JurBüro 2008, 527 und zu Nr. 3307 VV etwa OLG Düsseldorf JurBüro 2005, 474; Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, RVG, 18. Aufl., Rn 41 zu Nr. 3305–3308 VV; Mock in: AnwK-RVG, 4. Aufl., Rn 31 zu Nr. 3307). Auch aus den Materialien zum RVG (vgl. dazu etwa BGH NJW 2008, 3641, einer- und Gerold/Schmidt/Müller-Rabe a.a.O., Rn 14...