Steine statt Brot oder: Der Gerichtssaal wird zum Spielkasino
Rechtsanwälte und ihre Mandanten sind wahrlich nicht zu beneiden. Zwar mag es schon in der Vergangenheit schwierig gewesen sein, die von den Mandanten – nachvollziehbar – gewünschten Rechtsprognosen einigermaßen sicher abzugeben. Was wir in der Rspr. in den letzten Jahren allerdings erleben, macht Voraussagen fast unmöglich. Nicht einmal der Rechtsanwalt selbst kann sicher sein, ob die von ihm getroffene Vergütungsvereinbarung nun gerichtsfest ist oder nicht.
Die viel kritisierte Entscheidung des BGH vom 27.1.2005 – derzeit auf dem Prüfstand des BVerfG – mag so etwas wie Rechtssicherheit gewollt haben, in der Praxis erwies sie sich als Katastrophe, insbesondere für Strafverteidiger. Das OLG Hamm hatte den bemerkenswerten und begrüßenswerten Versuch unternommen – allerdings entgegen dem Wortlaut der Entscheidung des BGH – Zeithonorare von der "fünffachen Kappungsgrenze" auszunehmen. Dieses Törchen ist nunmehr wieder geschlossen worden.
Aller Kritik zum Trotz hält der BGH vom Grundsatz her an der wenig nachvollziehbaren Beurteilung fest, die Überschreitung der gesetzlichen (Höchst-)Gebühr begründe eine tatsächliche Vermutung dafür, dass sie unangemessen hoch sei und das Mäßigungsgebot verletze. Erneut wird die Vertragsfreiheit autonomer Vertragsparteien in wenig nachvollziehbarem Maße eingeschränkt und erneut werden Überlegungen angestellt, die die Wirklichkeit in der Strafverteidigerpraxis nicht annähernd wiedergeben. Strafverfahren sind heute in den meisten Fällen derart komplex, dass bereits die "Grobdurchsicht" von Fallakten einen Zeitaufwand in Anspruch nimmt, dass das Fünffache der gesetzlichen Vergütung schon bei bescheidenen Stundenhonoraren unterhalb von 250,00 EUR problemlos überschritten wird. Zu diesem Zeitpunkt hat die eigentliche Verteidigung oftmals noch nicht einmal angefangen. Warum es grundsätzlich Mandanten nicht zugemutet werden kann, die verantwortungsvolle, schwierige und zeitaufwendige Arbeit von Verteidigern nach freier Vereinbarung zu honorieren, erschließt sich dabei nicht wirklich.
Wohlgemerkt, hierbei soll nicht verschwiegen werden, dass es bei Abrechnungen nach Vergütungsvereinbarungen auch zu Missbrauchstatbeständen in erheblichem Umfange kommt. Hier ist sicherlich die Rspr. aufgerufen, zu korrigieren und "nachzujustieren". Rechtsanwälte sollten es gelernt haben, wie sie mit der getroffenen Vergütungsvereinbarung verantwortungsbewusst und nachvollziehbar umgehen. Und umgekehrt haben es die sog. schwarzen Schafe dann durchaus verdient, wenn sie in ihre Grenzen gewiesen werden.
Rechtssicherheit sollte aber das oberste Gebot bleiben. Wenn der BGH in der Entscheidung vom 12.2.2009 jetzt also an der allgemeinen Aussage festhält, die in dem betroffenen Einzelfall durchaus zu einem gerechten Ergebnis geführt haben mag, dann ist dies ebenso zu bedauern wie der orakelhafte Leitsatz, "möglicherweise" könne an der bisherigen "Extrembetrachtung" wohl nun doch nicht festgehalten werden.
Wer zu Gericht geht, will nicht beim Orakel von Delphi landen, und es wäre sicherlich angebracht gewesen, zumindest klar und deutlich die Abrechnungen nach Zeitaufwand von der Kappungsrechtsprechung auszunehmen, weil sie dorthin eben nicht passen.
Stattdessen haben wir uns nunmehr auch im Gebührenrecht auf einem weiteren Gebiet an einer Rspr. zu versuchen, die Prognosen so sicher zulässt wie im Unterhaltsrecht (was der Voraussage des Laufs der Roulettekugel nahekommt).
Da soll noch einer sagen, das Leben von Anwälten sei nicht Spannung pur.
Herbert P. Schons