Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des LG hatte mit Beschl. v. 26.10.2009 "festgestellt", dass die Pflichtverteidigerin die ihr mit der Festsetzung vom 13.7.1998 gewährte Abschlagszahlung von 5.849,18 EUR (10.440,00 DM) an die Landeskasse zurückzahlen muss, da ihr Antrag auf Bewilligung einer Pauschvergütung durch Beschluss des Senats vom 14.10.2009 zurückgewiesen worden ist. Die dagegen gerichtete Erinnerung der Rechtsanwältin hat die Urkundsbeamtin dem Senat zur Entscheidung vorgelegt. Er ist nicht zuständig und gibt die Sache an das LG zurück.

Der Rechtsbehelf richtet sich nicht gegen den Beschluss des Senats vom 14.10.2009. Denn mit dieser – im Übrigen nach § 51 Abs. 2 S. 1 RVG ohnehin unanfechtbaren – Entscheidung ist keine Verpflichtung zur Rückzahlung des durch Beschluss des KG v. 5.6.1998 bewilligten Vorschusses ausgesprochen worden. Durch die Versagung einer Pauschvergütung entfiel lediglich der Rechtsgrund der geleisteten Abschlagszahlung. In der Rückforderung hat die Pflichtverteidigerin mit Recht eine Aufhebung der Vergütungsfestsetzung vom 13.7.1998 gesehen, die mit der Erinnerung angefochten werden kann, über die hier das LG zu entscheiden hat.

Die Entscheidung ist nach dem (neuen) Verfahrensrecht des RVG zu treffen, obwohl die Rechtsanwältin bereits vor Inkrafttreten des Gesetzes (1.7.2004) zur Pflichtverteidigerin bestellt worden war. Neues Verfahrensrecht ist, wenn es keine abweichenden Bestimmungen enthält, stets bereits mit dem Inkrafttreten der Normen anzuwenden. Die Übergangsvorschrift des § 61 Abs. 1 S. 1 RVG, nach der die BRAGO weiter anzuwenden ist, wenn der Rechtsanwalt vor dem 1.7.2004 bestellt worden war, steht dem nicht entgegen. Sie gilt nach der ständigen Rspr. des Senats nur für das materielle Gebührenrecht. Die verfahrensrechtlichen Regelungen sind hingegen seit dem 1.7.2004 dem RVG zu entnehmen, und zwar unabhängig davon, nach welchem Recht sich die abgerechnete Vergütung richtet (vgl. N. Schneider, AGS 2004, 221). Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass § 61 Abs. 1 S. 1 RVG sich nicht auf die Berechnung der Gebühren beschränkt, sondern zwischen der Anwendung von BRAGO und dem RVG abgrenzen soll (vgl. BT-Drucks 15/1971 S. 203). Denn damit ist nur gemeint, dass in den Fällen des § 61 Abs. 1 S. 1 RVG für die Vergütung des Rechtsanwalts weiterhin die Gebührentatbestände, deren Voraussetzungen und die darin bestimmten Festbeträge, Rahmengebühren sowie Auslagenpauschalen der BRAGO maßgeblich sein sollen. Die Auffassung, wonach bei einer Gebührenbemessung nach der BRAGO auch deren Verfahrensregelungen über den 30.6.2004 hinaus gelten müssen (vgl. OLG Jena JurBüro 2006, 368; KG (3. Senat), Beschl. v. 16.12.2004–3 Ws 351/04), lässt außer Acht, dass dies bei der in § 61 Abs. 1 S. 2 RVG geregelten Fallkonstellation zu einer nicht praxisgerechten Aufspaltung der gebührenrechtlichen Rechtsbehelfe und deren Zulässigkeitsvoraussetzungen sowie zu unterschiedlichen Zuständigkeiten führt, was der Gesetzgeber auch im Hinblick auf Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG nicht gewollt haben kann. Denn gem. § 61 Abs. 1 S. 2 RVG gilt das neue Gebührenrecht für das Verfahren über ein Rechtsmittel, das nach dem 1.7.2004 eingelegt worden ist, auch wenn der Rechtsanwalt in dieser Sache bereits vor dem Stichtag tätig war. Seine Vergütung ist demzufolge für den ersten Rechtszug nach der BRAGO und für die Rechtsmittelinstanz nach dem RVG zu berechnen. Gegen die Festsetzung dieser Gebühren durch den Urkundsbeamten (§ 98 Abs. 1 S. 1 BRAGO, § 55 Abs. 1 S. 1 RVG) ist dann die Erinnerung zulässig, über die beim Gericht des ersten Rechtszuges nach § 98 Abs. 2 BRAGO der Vorsitzende und gem. den §§ 56 Abs. 2 S. 3, 33 Abs. 8 RVG grundsätzlich der Einzelrichter mit der Möglichkeit einer Übertragung auf den gesamten Spruchkörper zu entscheiden hat. Während gegen diese gerichtliche Entscheidung nach § 98 Abs. 3 BRAGO die unbefristete Beschwerde zulässig und eine weitere Beschwerde wegen § 310 StPO ausgeschlossen sind sowie in jedem Fall der Beschwerdewert (§ 304 Abs. 3 StPO) erreicht werden und der gesamte Spruchkörper (§ 122 Abs. 1 GVG) entscheiden muss, sieht abweichend davon das neue Gebührenrecht zwingend eine Befristung des Rechtsmittels (§§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 3 S. 3 RVG) sowie – unabhängig vom Wert des Beschwerdegegenstandes – die Zulassung der (weiteren) Beschwerde und die Möglichkeit der Übertragung vom grundsätzlich zuständigen Einzelrichter auf den gesamten Spruchkörper vor (§§ 56 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 8 S. 2 RVG).

Wegen dieser unterschiedlichen Ausgestaltung der verfahrensrechtlichen Regelungen in dem alten und neuen Gebührenrecht ist es geboten, die Anwendung des § 61 Abs. 1 S. 1 RVG, wie es in der Übergangsvorschrift des § 60 RVG deutlicher zum Ausdruck kommt, auf das materielle Gebührenrecht zu beschränken und es für das Verfahrensrecht bei dem allgemeinen Grundsatz zu belassen, nach dem bei einer Änderung der Verfahrensordnung die neuen Bestimmungen mit deren Inkrafttreten anzuwenden sind.

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