Entscheidungsstichwort (Thema)
Erinnerung. Vergütungsfestsetzung. beigeordneter Rechtsanwalt. Einzelrichter. Übergangsvorschrift. unbedingter Auftrag. Beiordnung. Rechtsmittelverfahren
Leitsatz (amtlich)
1. Über Erinnerungen gegen die Festsetzung der Vergütung für den beigeordneten Rechtsanwalt nach § 56 RVG entscheidet der zuständige Senat des Bundesverwaltungsgerichts in entsprechender Anwendung von § 33 Abs. 8 RVG grundsätzlich durch den Einzelrichter.
2. Hat der Prozessbevollmächtigte die Kläger schon im erst- und zweitinstanzlichen Verfahren vertreten, folgt daraus weder, dass ihm im Sinne der Übergangsvorschrift des § 61 Abs. 1 Satz 1 RVG ein unbedingter Auftrag zur Vertretung auch in dem Verfahren über eine von der Gegenseite eingelegte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Berufungsurteil erteilt worden ist, noch handelt es sich insoweit um die Erledigung derselben Angelegenheit im Sinne des § 15 RVG.
Normenkette
RVG §§ 15, 33 Abs. 8, §§ 56, 61 Abs. 1
Tenor
Auf die Erinnerung des Prozessbevollmächtigten der Kläger wird die Vergütungsfestsetzung des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle vom 6. Juni 2005 geändert. Die Vergütung wird antragsgemäß auf 500,19 EUR festgesetzt.
Tatbestand
I.
Der Erinnerungsführer wendet sich dagegen, dass der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle die Vergütung, die aus der Bundeskasse an ihn als beigeordneten Rechtsanwalt für seine Tätigkeit in dem Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren zu zahlen ist, auf der Grundlage der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte – BRAGO – und nicht nach dem seit dem 1. Juli 2004 geltenden Rechtanwaltsvergütungsgesetz – RVG – berechnet hat. Er macht geltend, er habe von der von der Gegenseite vor dem 1. Juli 2004 eingelegten Nichtzulassungsbeschwerde erstmals im August 2004 Kenntnis erlangt und sei erst im Anschluss daran auf seinen Prozesskostenhilfeantrag hin seinen Mandanten beigeordnet worden. Ihm stehe deshalb statt des festgesetzten Betrages von 216,98 EUR eine Vergütung in Höhe von 500,19 EUR zu.
Entscheidungsgründe
II.
1. Über die Erinnerung hat der Senat in der Besetzung mit drei Richtern durch Beschluss zu entscheiden. Dabei kann offen bleiben, ob sich dies bereits aus der Übergangsvorschrift aus Anlass des Inkrafttretens des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes am 1. Juli 2004 (§ 61 Abs. 1 RVG) ergibt. Die Bestimmung lautet:
„Die Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte … und Verweisungen hierauf sind weiter anzuwenden, wenn der unbedingte Auftrag zur Erledigung derselben Angelegenheit im Sinne des § 15 vor dem 1. Juli 2004 erteilt oder der Rechtsanwalt vor diesem Zeitpunkt gerichtlich bestellt oder beigeordnet worden ist. Ist der Rechtsanwalt am 1. Juli 2004 in derselben Angelegenheit und, wenn ein gerichtliches Verfahren anhängig ist, in demselben Rechtszug bereits tätig, gilt für das Verfahren über ein Rechtsmittel, das nach diesem Zeitpunkt eingelegt wurde, dieses Gesetz.”
Danach wird in bestimmten Altfällen die Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte in der bisher geltenden Fassung weiter für anwendbar erklärt. Das soll zwar – anders als nach der allgemeinen Übergangsregelung in § 60 RVG – nicht nur für die Berechnung der Vergütung, sondern möglicherweise auch für die verfahrensrechtlichen Regelungen der beiden Gesetze gelten (so Beschluss des 5. Senats vom 26. August 2005 – BVerwG 5 KSt 1.05). Dann wäre der Senat ohnehin – wie früher – nach § 10 Abs. 3 VwGO als Kollegialorgan zur Entscheidung berufen. Für ein derartiges Verständnis spricht die Begründung des Gesetzentwurfs, wonach sich § 61 Abs. 1 RVG „nicht auf die Berechnung der Vergütung beschränken, sondern zwischen der Anwendung der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte und des vorgeschlagenen RVG abgrenzen” soll (BTDrucks 15/1971 S. 204).
Aber auch wenn § 61 Abs. 1 RVG anders auszulegen und nicht auf verfahrensrechtliche Bestimmungen zu beziehen sein sollte und deshalb nach den Grundsätzen des intertemporalen Prozessrechts neues Verfahrensrecht anzuwenden wäre (so N. Schneider in: Gebauer/Schneider, Anwaltkommentar – RVG, 2. Aufl. 2004, § 61 Rn. 76), wäre im vorliegenden Verfahren der Senat in der Besetzung mit drei Richtern zuständig. Die dann nach § 56 Abs. 2 i.V.m. § 33 Abs. 8 Satz 1 RVG originär zuständige Einzelrichterin hat die Sache nämlich nach Anhörung der Beteiligten vorsorglich gemäß § 33 Abs. 8 Satz 2 RVG dem Senat übertragen. Insoweit geht der Senat davon aus, dass beim Bundesverwaltungsgericht für die Entscheidung über die Erinnerung des Rechtsanwalts und der Staatskasse gegen die Festsetzung der Vergütung nach neuem Recht (§ 56 RVG i.V.m. § 33 Abs. 8 Satz 1 RVG) grundsätzlich der Einzelrichter zuständig ist (anders zu § 66 Abs. 6 Satz 1 GKG für den Bundesgerichtshof: BGH, Beschluss vom 13. Januar 2005 – V ZR 218/04 – MDR 2005, 597 und für den Bundesfinanzhof: BFH, Beschluss vom 28. Juni 2005 – X E 1/05 – ≪juris≫ jeweils unter Hinweis darauf, dass an diesen Gerichten Entscheidungen durch den Einzelrichter weder gerichtsverfassungsrechtlich noch prozessrechtlich vorgesehen oder vorbehalten und damit unzulässig seien). Beim Bundesverwaltungsgericht ist der Einzelrichter aufgrund der in der Verwaltungsgerichtsordnung und in einigen Sondergesetzen bestimmten erstinstanzlichen Zuständigkeiten (vgl. § 50 Abs. 1 VwGO sowie etwa § 5 Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz – VerkPBG) durch die Anwendbarkeit der für das erstinstanzliche Verfahren geltenden allgemeinen Bestimmungen (vgl. §§ 87, 87 a VwGO) institutionell vorgesehen; dem entspricht die langjährige Praxis der damit befassten Senate. Außerdem haben die Revisionssenate beim Bundesverwaltungsgericht seit dem 1. Juli 2004 in ihren Geschäftsverteilungsplänen entsprechende Regelungen über den Einzelrichter in Kostensachen getroffen. Seitdem entscheidet in Kostensachen nach Maßgabe der Bestimmungen des seit dem 1. Juli 2004 geltenden Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes regelmäßig der Einzelrichter durch Beschluss, sofern er die Sache nicht auf den Senat überträgt.
2. Die Erinnerung gegen die Kostenfestsetzung des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle ist zulässig und begründet.
Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hat die dem beigeordneten Anwalt aus der Staatskasse zu gewährende Vergütung für seine Tätigkeit im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren zu Unrecht nach den Vergütungssätzen der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte und nicht nach denen des ab 1. Juli 2004 geltenden Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes festgesetzt. Entgegen seiner Auffassung sind im vorliegenden Fall die Voraussetzungen für die Anwendung alten Rechts nach § 61 Abs. 1 Satz 1 RVG nicht erfüllt. Der Erinnerungsführer hat die Kläger zwar schon im erst- und zweitinstanzlichen Verfahren vertreten. Daraus folgt aber weder, dass ihm vor dem 1. Juli 2004 ein unbedingter Auftrag zur Vertretung auch in dem Verfahren über die von der Gegenseite beim Verwaltungsgerichtshof eingelegte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision erteilt worden war – die ihm erst Mitte August 2004 zugeleitet wurde –, noch handelte es sich insoweit um die Erledigung derselben Angelegenheit im Sinne des § 15 RVG. Das ergibt sich insbesondere auch nicht daraus, dass das Verfahren über die Nichtzulassungsbeschwerde zunächst beim Berufungsgericht und erst nach dessen Nichtabhilfeentscheidung beim Bundesverwaltungsgericht anhängig wird (vgl. zuletzt Beschluss vom 7. September 2005 – BVerwG 4 B 49.05 – BauR 2005, 1814 m.w.N). Vielmehr ist davon auszugehen, dass das Berufungsverfahren und das Verfahren über die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision verschiedene Angelegenheiten sind. Auch die Beiordnung des Erinnerungsführers für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren ist erst nach dem Stichtag mit Beschluss des Senats vom 10. Dezember 2004 ausgesprochen worden.
Es kann deshalb offen bleiben, ob der Wortlaut des § 61 Abs. 1 Satz 1 RVG auch eine Auslegung zulässt, die im Falle der Auftragserteilung vor dem 1. Juli 2004 allein auf den (späteren) Zeitpunkt der gerichtlichen Beiordnung abstellt und damit auch in diesen Fällen zur Anwendung des neuen Rechts gelangt. Das entspräche allerdings wohl nicht der Ansicht des Gesetzgebers, die auf eine frühere Handhabung entsprechender Übergangsregelungen abstellt (vgl. die Gesetzesbegründung zu der insoweit wortgleichen allgemeinen Übergangsregelung in § 60 Abs. 1 Satz 1 RVG, BTDrucks 15/1971 S. 203).
Die Ausnahmebestimmung in § 61 Abs. 1 Satz 2 RVG, die abweichend von Satz 1 für das Verfahren über ein Rechtsmittel, das nach dem 1. Juli 2004 eingelegt worden ist, neues Recht für anwendbar erklärt, ist vorliegend nicht einschlägig. Denn die Nichtzulassungsbeschwerde, um die es hier geht, ist unstreitig vor dem 1. Juli 2004 eingelegt worden, so dass die Voraussetzungen dieser Bestimmung nicht erfüllt sind. Aus dieser Vorschrift kann auch nicht der (Umkehr-) Schluss gezogen werden, dass bei Einlegung des Rechtsmittels vor dem 1. Juli 2004 für einen bereits in der Vorinstanz tätigen Rechtsanwalt in jedem Fall altes Gebührenrecht gilt (vgl. zu dem entsprechenden § 134 Abs. 1 Satz 2 BRAGO: OVG Koblenz, Beschluss vom 30. April 1996 – 12 E 10395/96 – JurBüro 1998, 27). Es spricht vielmehr alles dafür, dass – wovon auch die Kostenprüfungsbeamtin ausgegangen ist – diese umstrittene Bestimmung nur für den Rechtsmittelführer anwendbar ist (vgl. aber auch N. Schneider in: Gebauer/Schneider, a.a.O., § 61 Rn. 7 ff.)
3. Der Prozessbevollmächtigte der Kläger hat danach Anspruch auf die geltend gemachten Gebühren nach neuem Recht. Sie sind bei einem Streitwert von 16 000 EUR mit 411,20 EUR Verfahrensgebühr nach Nr. 3506 Vergütungsverzeichnis – VV – und der Postpauschale von 20 EUR nach Nr. 7002 VV zuzüglich Umsatzsteuer antragsgemäß in Höhe von zusammen 500,19 EUR festzusetzen.
Das Verfahren über die Erinnerung ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet (§ 128 Abs. 5 BRAGO; § 56 Abs. 2 Satz 2 und 3 RVG).
Unterschriften
Eckertz-Höfer, Beck, Prof. Dr. Dörig
Fundstellen
Haufe-Index 1476028 |
JurBüro 2006, 198 |
DÖV 2006, 880 |
AGS 2006, 184 |
AuAS 2006, 79 |