RVG VV Nr. 7003, Vorbem. 7 Abs. 2 BRAO §§ 27, 28, 29a
Leitsatz
Von dem Begriff "Kanzlei" i.S.d. Vorbem. 7 Abs. 2 VV wird auch die Zweigstelle einer Rechtsanwaltskanzlei erfasst. Fahrtkosten für eine Geschäftsreise zu einem Ziel innerhalb der Gemeinde, in der die Zweigstelle unterhalten wird, können deshalb nicht gem. Nr. 7003 VV dem Auftraggeber in Rechnung gestellt werden.
OLG Dresden, Beschl. v. 7.6.2010 – 2 Ws 93/10
1 Sachverhalt
Der Rechtsanwalt war dem Angeklagten als Pflichtverteidiger in einem Strafverfahren vor dem AG Dresden beigeordnet worden. Der Rechtsanwalt unterhält seine Kanzlei in B und eine Zweigstelle in Dresden.
Nach Abschluss des Verfahrens beantragte der Rechtsanwalt die Festsetzung seiner Pflichtverteidigervergütung. Unter anderem machte er Reisekosten für Fahrten von B zur Hauptverhandlung nach Dresden und zur Justizvollzugsanstalt C geltend.
Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle erkannte die Kosten der Fahrt von B nach Dresden nicht an; für die Fahrt in die Justizvollzugsanstalt C wurden Reisekosten in Höhe einer fiktiven Fahrt von Dresden nach C anerkannt, weil der Verteidiger eine Zweigstelle in Dresden unterhält.
Die hiergegen erhobene Erinnerung wies das AG zurück.
Die dagegen eingelegte Beschwerde hat das LG mit dem angefochtenen Beschluss als unbegründet verworfen und die weitere Beschwerde wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage zugelassen. Dabei hat das LG eine Beschränkung der Beschwerde auf die Absetzung der Reisekosten angenommen.
Der weiteren Beschwerde hat das LG nicht abgeholfen. Auch vor dem OLG hatte sie keinen Erfolg.
2 Aus den Gründen
Gem. Nr. 7003 VV werden dem Rechtsanwalt Fahrtkosten für eine Geschäftsreise erstattet. Eine Geschäftsreise gem. Vorbem. 7 Abs. 2 VV liegt vor, wenn das Reiseziel außerhalb der Gemeinde liegt, in der sich die Kanzlei oder die Wohnung des Rechtsanwalts befindet.
Von dem Begriff der "Kanzlei" i.S.d. Vorbem. ist auch deren Zweigstelle umfasst.
a) Mit dem Gesetz zur Stärkung der Selbstverwaltung der Rechtsanwaltschaft v. 27.3.2007 (BGBl I, 358) wurde § 28 BRAO mit Wirkung zum 1.6.2007 aufgehoben. § 28 BRAO sah bis dahin das Verbot der Errichtung einer Zweigstelle mit Erlaubnisvorbehalt vor. § 27 Abs. 2 BRAO wurde durch das Gesetz dahingehend neu gefasst, dass der Rechtsanwalt die Errichtung einer Zweigstelle unverzüglich der Rechtsanwaltskammer anzuzeigen hat und die Errichtung einer Zweigstelle im Bezirk einer anderen Rechtsanwaltskammer auch dieser Rechtsanwaltskammer anzuzeigen ist. Weitergehende, mit der Aufhebung des Zweigstellenverbots einhergehende Regelungen, insbesondere solche des RVG, hat der Gesetzgeber nicht getroffen.
Auch die daraufhin geführte Diskussion über die Folgen der Aufhebung des Zweigstellenverbots sowie das Verhältnis zwischen Kanzlei und Zweigstelle (vgl. Dahns, NJW 2007, 1553; ders., NJW-Spezial 2009, 654; Horn, BRAK-Mitt. 2007, 94; Hartung, AnwBl 2007, 438; Römermann, AnwBl 2007, 609; Hommerich/Kilian, AnwBl 2009, 712) hat keinen Anlass zu weiterer gesetzgeberischer Tätigkeit gegeben.
b) Die Berufsordnung für Rechtsanwälte (BORA) schreibt lediglich vor, dass der Rechtsanwalt verpflichtet ist, die für seine Berufsausübung erforderlichen sachlichen, personellen und organisatorischen Voraussetzungen vorzuhalten (§ 5 BORA). Nach einer Auffassung soll damit verdeutlicht werden, dass Zweigstellen qualitativ eine Zweitkanzlei sind und die bisherigen an eine Kanzlei zu stellenden Voraussetzungen somit auch für Zweigstellen gelten (Dahns, NJW-Spezial 2009, 654). Nach a.A. sei die Zweigstelle etwas Nachgeordnetes, setze schon logisch eine Hauptstelle voraus und sei im Gegensatz zur Abhaltung auswärtiger Sprechtage eine ständige, räumlich gebundene Einrichtung (Horn, BRAK-Mitt. 2007, 95).
c) Die Bezeichnung der Zweigstelle als "Zweitkanzlei" trägt jedoch nicht ausreichend dem Umstand Rechnung, dass der Rechtsanwalt gem. § 27 Abs. 1 BRAO verpflichtet ist, im Bezirk der Rechtsanwaltskammer, deren Mitglied er ist, eine Kanzlei einzurichten und zu unterhalten. Gem. Abs. 2 S. 1 der Vorschrift hat der Rechtsanwalt die Verlegung seiner Kanzlei der Rechtsanwaltskammer unverzüglich anzuzeigen. Bereits die gesetzliche Regelung zeigt deshalb, dass der Rechtsanwalt nur eine Kanzlei unterhalten kann. Diese Auffassung wird auch belegt durch die Abgrenzung in § 29a BRAO, der ausdrücklich von weiteren "Kanzleien" in anderen Staaten spricht. Die Zweigstelle ist daher zwar nicht zwingend als der Kanzlei nachgeordnet, jedoch als unselbstständiger Bestandteil der Kanzlei anzusehen, die der Rechtsanwalt gegenüber der Rechtsanwaltskammer nach § 27 Abs. 1 BRAO mitgeteilt hat. Die Unselbstständigkeit der Zweigstelle zeigt sich insbesondere auch darin, dass es im Belieben des Rechtsanwalts steht, in welchem Umfang er von seiner jeweiligen beruflichen Niederlassung Gebrauch macht. Eine bestimmte Anwesenheitsquote des Rechtsanwalts an dem einem oder dem anderen Ort fordert das Berufsrecht nicht. Damit lässt sich in aller Regel auch objektiv nicht feststellen, welche Kanzl...