RVG §§ 48, 55, 56; RVG VV Nrn. 3100 ff.
Leitsatz
- Schließen die Parteien einen widerrufbaren Vergleich und bewilligt das Gericht Prozesskostenhilfe ab einem Zeitpunkt nach Abschluss des Vergleichs aber vor Ablauf der Widerrufsfrist, kann noch ein Gebührenanspruch des/r beigeordneten Prozessbevollmächtigten begründet werden.
- Erforderlich, aber auch ausreichend ist es dann aber, dass nach dem Zeitpunkt, ab dem Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist, eine Gebühren auslösende Tätigkeit erbracht worden ist.
- Nur Gebühren, die (ausschließlich) vor diesem Zeitpunkt entstanden sind, erhält der Rechtsanwalt nicht aus der Staatskasse (vgl. LAG Berlin-Brandenburg 26.6.2012 – 17 Ta (Kost) 6073/12, Rn 6, für den Fall eines Widerrufsvergleichs). Gebührentatbestände können in diesem Fall bis zum Ablauf der Widerrufsfrist ausgelöst werden (vgl. BGH 26.2.2014 – XII ZB 499/11, Rn 14 [= AGS 2014, 202]).
- In Betracht kommt in dieser Situation noch eine 0,8-Verfahrensgebühr nach Nr. 3101 VV, wenn nach der Beiordnung z.B. noch eine Besprechung bzw. Beratung zu der Frage stattgefunden hat, ob der Vergleich angenommen bzw. widerrufen werden sollte oder nicht.
- Auch eine Einigungsgebühr kann in diesem Verfahrensstadium noch entstehen. Insoweit ist es ausreichend, dass der Prozessbevollmächtigte seiner Partei rät, den Vergleich nicht zu widerrufen (vgl. BGH 26.2.2014 – XII ZB 499/11, Rn 14).
- Ist die Entscheidung hingegen bereits vor der Beiordnung getroffen gewesen, kann danach eine Gebühr nicht mehr anfallen. Allein die Möglichkeit der Ausübung des Widerrufsrechts bis zum Ablauf der Frist und das Verstreichenlassen der Widerrufsfrist sind nicht ausreichend.
- Voraussetzungen, unter denen eine rückwirkende Bewilligung von PKH möglich/erforderlich ist.
LAG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 17.4.2019 – 26 Ta (Kost) 6080/18
1 Sachverhalt
Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Zurückweisung seines Antrags auf Festsetzung einer Verfahrens- und einer Einigungsgebühr.
Der Beschwerdeführer reichte am 8.3.2018 beim ArbG Frankfurt (Oder) für die Klägerin eine Kündigungsschutzklage ein. Der Schriftsatz enthielt einen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH). Am 3.4.2018 nahm der Beschwerdeführer einen Gütetermin für die Klägerin wahr, in dem ein Widerrufsvergleich abgeschlossen worden ist. Am 9.4.2018 ging beim ArbG die Erklärung der Klägerin über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse ein. Am 10.4.2018 lief die Widerrufsfrist ab.
Am 16.4.2018 erstellte der Beschwerdeführer eine Gebührenrechnung über 1.073,38 EUR. Die Rechtspflegerin bewilligte ihm am 8.6.2018 eine Verfahrensgebühr nebst Kostenpauschale i.H.v. insgesamt 263,70 EUR.
Der Beschwerdeführer hat hiergegen am 13.6.2018 beim ArbG Erinnerung eingelegt. Die anwaltliche Tätigkeit sei erst mit Abschluss des Verfahrens, d.h. mit Ablauf der Widerrufsfrist beendet gewesen. Die Tätigkeit im Zusammenhang mit dem Abschluss des Vergleichs sei für den Anwalt erst beendet, wenn über die Wahrnehmung des Widerrufsrechts entschieden und die Widerrufsfrist abgelaufen sei.
Auch seitens der Landeskasse ist Erinnerung gegen die Entscheidung eingelegt worden. Diese ist am 16.7.2018 bei dem ArbG eingegangen und damit begründet worden, dass nicht erkennbar sei, dass der Klägervertreter nach der Beiordnung am 9.4.2018 vergütungsrelevante Tätigkeiten entfaltet habe.
Die Rechtspflegerin hat der Erinnerung des Beschwerdeführers mit Beschl. v. 18.6.2018 nicht abgeholfen. Das ArbG hat sodann am 28.8.2018 durch die Richterin "auf die Erinnerung des Klägervertreters und die Erinnerung der Staatskasse den Vergütungsfestsetzungsantrag insgesamt zurückgewiesen". Es sei nicht ersichtlich, dass der Beschwerdeführer nach dem Bewilligungszeitpunkt (9.4.2018) noch vergütungsrelevante Tätigkeiten entfaltet habe. Der Beschluss ist dem Beschwerdeführer am 10.9.2018 zugestellt worden. Hiergegen wendet er sich mit der am 12.9.2018 beim ArbG eingegangenen Beschwerde. Entgegen der Auffassung des ArbG gehe es nicht nur um die Tätigkeit nach Nr. 3101 VV, sondern auch um die nach Nr. 3100 VV. Die Gebühr entstehe aber für das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information. Sie decke alle Tätigkeiten ab, die zum Rechtszug gehörten, also nach § 19 RVG auch alle Vorbereitungs- und Abwicklungstätigkeiten, die mit dem Rechtszug oder Verfahren zusammenhingen. Die Mitwirkungshandlung könne auch so aussehen, dass zum Ablauf der Widerrufsfrist die Entscheidung getroffen werde, den Vergleich nicht zu widerrufen. Der Rechtszug und das Verfahren seien angesichts des Widerrufsvergleichs erst mit Ablauf der Widerrufsfrist beendet gewesen.
2 Aus den Gründen
Die nach § 56 Abs. 2 i.V.m. § 33 Abs. 3 RVG, § 569 Abs. 2 ZPO statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist unbegründet. Das ArbG hat der Erinnerung des Beschwerdeführers zu Recht nicht abgeholfen. Der Beschwerdeführer hat gegen die Landeskasse keine Gebührenansprüche, die nach § 55 RVG festzusetzen wären. Der Klägervertreter hat ab der Beiordnung und vor Abschluss des Verfahrens mit Ablauf der Wide...