Entscheidungsstichwort (Thema)

Zeitpunkt der Prozesskostenhilfebewilligung und danach erfolgende weitere Prozesshandlungen. Gebührenrelevante Prozesshandlungen nach Abschluss, aber vor der Widerrufsfrist eines gerichtlichen Vergleichs. Voraussetzungen einer rückwirkenden Prozesskostenhilfebewilligung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Schließen die Parteien einen widerrufbaren Vergleich und bewilligt das Gericht Prozesskostenhilfe ab einem Zeitpunkt nach Abschluss des Vergleichs aber vor Ablauf der Widerrufsfrist, kann noch ein Gebührenanspruch des/r beigeordneten Prozessbevollmächtigten begründet werden.

2. Erforderlich, aber auch ausreichend ist es dann aber, dass nach dem Zeitpunkt, ab dem Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist, eine Gebühren auslösende Tätigkeit erbracht worden ist.

Nur Gebühren, die (ausschließlich) vor diesem Zeitpunkt entstanden sind, erhält der Rechtsanwalt nicht aus der Staatskasse (vgl. LAG Berlin-Brandenburg 26. Juni 2012 - 17 Ta (Kost) 6073/12, Rn. 6, für den Fall eines Widerrufsvergleichs). Gebührentatbestände können in diesem Fall bis zum Ablauf der Widerrufsfrist ausgelöst werden (vgl. BGH 26. Februar 2014 - XII ZB 499/11, Rn. 14).

3. In Betracht kommt in dieser Situation noch eine 0,8 Verfahrensgebühr nach Nr. 3101 VV RVG, wenn nach der Beiordnung zB noch eine Besprechung bzw. Beratung zu der Frage stattgefunden hat, ob der Vergleich angenommen bzw. widerrufen werden sollte oder nicht.

4. Auch eine Einigungsgebühr kann in diesem Verfahrensstadium noch entstehen. Insoweit ist es ausreichend, dass der Prozessbevollmächtigte seiner Partei rät, den Vergleich nicht zu widerrufen (vgl. BGH 26. Februar 2014 - XII ZB 499/11, Rn. 14).

5. Ist die Entscheidung hingegen bereits vor der Beiordnung getroffen gewesen, kann danach eine Gebühr nicht mehr anfallen. Allein die Möglichkeit der Ausübung des Widerrufsrechts bis zum Ablauf der Frist und das Verstreichenlassen der Widerrufsfrist sind nicht ausreichend.

6. Voraussetzungen, unter denen eine rückwirkende Bewilligung von PKH möglich/erforderlich ist.

 

Normenkette

RVG §§ 48, 55-56; ZPO § 118 Abs. 2 S. 4, §§ 139, 234 Abs. 1 S. 1, Abs. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Frankfurt (Oder) (Entscheidung vom 28.08.2018; Aktenzeichen 4 Ca 278/18)

 

Tenor

Die Beschwerde des Beschwerdeführers gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts vom 28. August 2018 - 4 Ca 278/18 - wird zurückgewiesen.

 

Gründe

I.

Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Zurückweisung seines Antrags auf Festsetzung einer Verfahrens- und einer Einigungsgebühr.

Der Beschwerdeführer reichte am 8. März 2018 beim Arbeitsgericht Frankfurt (Oder) für die Klägerin eine Kündigungsschutzklage ein. Der Schriftsatz enthielt einen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe. Am 3. April 2018 nahm der Beschwerdeführer einen Gütetermin für die Klägerin wahr, in dem ein Widerrufsvergleich abgeschlossen worden ist. Am 9. April 2018 ging beim Arbeitsgericht die Erklärung der Klägerin über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse ein. Am 10. April 2018 lief die Widerrufsfrist ab.

Am 16. April 2018 erstellte der Beschwerdeführer eine Gebührenrechnung über 1.073,38 Euro. Die Rechtspflegerin bewilligte ihm am 8. Juni 2018 eine Verfahrensgebühr nebst Kostenpauschale in Höhe von insgesamt 263,70 Euro.

Der Beschwerdeführer hat hiergegen am 13. Juni 2018 beim Arbeitsgericht Erinnerung eingelegt. Die anwaltliche Tätigkeit sei erst mit Abschluss des Verfahrens, dh mit Ablauf der Widerrufsfrist beendet gewesen. Die Tätigkeit im Zusammenhang mit dem Abschluss des Vergleichs sei für den Anwalt erst beendet, wenn über die Wahrnehmung des Widerrufsrechts entschieden und die Widerrufsfrist abgelaufen sei.

Auch seitens der Landeskasse ist Erinnerung gegen die Entscheidung eingelegt worden. Diese ist am 16. Juli 2018 bei dem Arbeitsgericht eingegangen und damit begründet worden, dass nicht erkennbar sei, dass der Klägervertreter nach der Beiordnung am 9. April 2018 vergütungsrelevante Tätigkeiten entfaltet habe.

Die Rechtspflegerin hat der Erinnerung des Beschwerdeführers mit Beschluss vom 18. Juni 2018 nicht abgeholfen. Das Arbeitsgericht hat sodann am 28. August 2018 durch die Richterin "auf die Erinnerung des Klägervertreters und die Erinnerung der Staatskasse den Vergütungsfestsetzungsantrag insgesamt zurückgewiesen". Es sei nicht ersichtlich, dass der Beschwerdeführer nach dem Bewilligungszeitpunkt (9. April 2018) noch vergütungsrelevante Tätigkeiten entfaltet habe. Der Beschluss ist dem Beschwerdeführer am 10. September 2018 zugestellt worden. Hiergegen wendet er sich mit der am 12. September 2018 beim Arbeitsgericht eingegangenen Beschwerde. Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts gehe es nicht nur um die Tätigkeit nach Nr. 3101 VV RVG, sondern auch um die nach Nr. 3100 VV RVG. Die Gebühr entstehe aber für das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information. Sie decke alle Tätigkeiten ab, die zum Rechtszug gehörten, also nach § 19 RVG auch alle Vorbereitungs- und Abwicklungstätigkeiten, die mit dem Rechtszug oder Verfahren zu...

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