§ 120a Abs. 1 S. 1, § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO
Leitsatz
Zieht der Begünstigte nach Gewährung der Verfahrenskostenhilfe mehrfach um, ohne die melderechtlich gebotenen Ummeldungen vorzunehmen, und ist infolgedessen auch nicht für seinen beigeordneten Rechtsanwalt erreichbar, dann rechtfertigt das die Aufhebung der bewilligten Verfahrenskostenhilfe nach § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO. Ein solches Verhalten stellt eine grobe Nachlässigkeit im Sinne dieser Vorschrift dar.
OLG Frankfurt a.M., Beschl. v. 10.12.2020 – 7 WF 106/20
I. Sachverhalt
Dem Antragsgegner wurde mit Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – im November 2017 ratenfreie Verfahrenskostenhilfe (VKH) für den ersten Rechtszug unter Beiordnung eines Rechtsanwalts bewilligt. Im November 2019 wurde der Antragsgegner unter Androhung der Aufhebung der VKH-Bewilligung aufgefordert, eine neue Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse einzureichen. Diese Aufforderung richtete sich an seinen beigeordneten Verfahrensbevollmächtigten. Eine Reaktion erfolgte hierauf nicht. Daraufhin hat das Amtsgericht im Januar 2020 die bewilligte VKH aufgehoben. Der Beschluss wurde dem Verfahrensbevollmächtigten zugestellt. Hiergegen wurde im Januar 2020 sofortige Beschwerde eingereicht, eine Begründung erfolgte jedoch nicht. Der Verfahrensbevollmächtigte teilte im April 2020 lediglich mit, dass das Mandatsverhältnis beendet sei. Das Amtsgericht hat den Antragsgegner darauf hin unter der ihm letzten bekannten Anschrift angeschrieben. Hierauf erfolgt ein Rückbrief mit dem Vermerk, dass der Empfänger unter der angegebenen Anschrift nicht zu ermitteln ist. Eine Nachfrage beim Einwohnermeldeamt ergab, dass der Antragsgegner zwischenzeitlich einmal umgezogen ist, unter der neuen Anschrift im Mai 2020 von Amts wegen abgemeldet ist und eine neue Meldeanschrift nicht hinterlegt worden ist. Eine erneute Anfrage im Juni 2020 führte zum gleichen Ergebnis. Das Amtsgericht hat daraufhin aufgrund einer Anfrage beim Jobcenter eine neue Adresse mitgeteilt bekommen, unter der der Antragsgegner sodann aufgefordert worden ist, die sofortige Beschwerde zu begründen oder die angeforderten Unterlagen einzureichen. Hierauf erfolgte ebenfalls keine Reaktion.
Das Amtsgericht hat der sofortigen Beschwerde daraufhin nicht abgeholfen und die Sache dem OLG Frankfurt a.M. – Familiensenat – zur Entscheidung vorgelegt. Als weiterer Aufhebungsgrund kam hinzu, dass der Antragsgegner seinen Umzug dem Gericht nicht mitgeteilt hat. Innerhalb einer verlängerten Frist zur Begründung der sofortigen Beschwerde hat der Antragsgegner die Erklärung die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vorgelegt. Hieraus ergibt sich auch, dass der Antragsgegner seit September 2020 eine neue Wohnung angemietet hat.
Das OLG Frankfurt a.M. hat daraufhin die sofortige Beschwerde zurückgewiesen, da auch nach Einreichung der geforderten Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse ein Aufhebungsgrund gem. § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO vorliegt, da der Antragsgegner entgegen seiner bestehenden Verpflichtung aus § 120a Abs. 2 S. 1 ZPO dem Amtsgericht mindestens aus grober Nachlässigkeit nicht mitgeteilt hat, dass sich seine Anschrift – sogar mehrfach – geändert hat.
II. Objektive und subjektive Anforderungen des § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO
Voraussetzung für eine Aufhebung der VKH-Bewilligung gem. § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO ist zunächst, dass der Partei durch Beschluss VKH bewilligt worden ist. Er ermöglicht in bestimmten Fällen eine nachträgliche Korrektur der getroffenen Entscheidung (MüKo-ZPO/Wache, 6. Aufl., 2020, § 124 Rn 2). Ein solcher Fall ist gegeben, wenn die Partei ihrer Verpflichtung gem. § 120a Abs. 2 S. 1 ZPO, eine Änderung ihrer Anschrift mitzuteilen, absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit nicht unverzüglich nachgekommen ist.
Es muss neben dem objektiven Tatbestand (keine unverzügliche Mitteilung der geänderten Anschriften) auch der subjektive Tatbestand erfüllt sein, nämlich dass die Partei ihre Verpflichtung absichtlich oder grob nachlässig verletzt hat und bei der Antragstellung auf ihre Mitteilungspflichten sowie die Rechtsfolgen des Verstoßes hingewiesen worden ist (BeckOK-ZPO/Kratz, 40. Edition, 1.3.2021, § 124 Rn 23a). Der Begriff der groben Nachlässigkeit entspricht dem Begriff der groben Fahrlässigkeit. Hiernach handelt grob nachlässig derjenige, der die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nach den gesamten Umständen in ungewöhnlich hohem Maße verletzt oder unbeachtet lässt und dies auch jedermann einleuchtet (BAG, Beschl. v. 18.8.2016 – 8 AZB 16/16, AGS 2016, 584 = RVGreport 2016, 474 [Hansens]). Daraus ergibt sich, dass das reine bloße Vergessen eines Anschriftenwechsels oder das bloße Nichtbeachten dieser entsprechenden Verpflichtung in der Regel nicht den Tatbestand einer groben Nachlässigkeit verwirklicht (s. auch OLG Dresden, Beschl. v. 25.10.2016 – 20 WF 1201/16, AGS 2017, 143; Schultzky, in: Zöller, ZPO, 33. Aufl., 2020, § 115 Rn 20) und ansonsten auch der geforderten Verschuldensanforderung als gesetzliches Merkmal hier unterlaufen würde.
Zustellungen und Mitteilungen im VKH...