§§ 39, 40, 51 FamGKG
Leitsatz
Legt die Antragstellerin gegen den Beschluss des FamG Beschwerde ein, soweit ihr Antrag auf Zahlung von Unterhalt abgewiesen worden ist, und legt der Antragsgegner seinerseits Anschlussbeschwerde ein, soweit er zur Unterhaltszahlung verpflichtet worden ist, sind die Werte der wechselseitigen Rechtsmittel zusammenzurechnen.
OLG Frankfurt, Beschl. v. 8.5.2023 – 6 UF 20/23
I. Sachverhalt
Die Antragstellerin hatte im August 2022 beantragt, den Antragsgegner zu verpflichten, an sie für die Monate März 2022 bis einschließlich August 2022 rückständigen Trennungsunterhalt i.H.v. 4.948,00 EUR sowie monatlichen Trennungsunterhalt ab September 2022 i.H.v. 3.422,00 EUR zu zahlen. Das FamG hat den Antragsgegner verpflichtet, ab dem 1.11.2022 einen monatlichen Trennungsunterhalt an die Antragstellerin i.H.v. 955,00 EUR zu zahlen. Gegen den Beschluss hat der Antragsgegner Beschwerde erhoben und beantragt, in Abänderung des angefochtenen Beschlusses den Antrag der Antragstellerin zurückzuweisen, soweit er verpflichtet worden sei, für November und Dezember 2022 einen über 363,50 EUR und ab Januar 2023 einen über 223,00 EUR hinausgehenden Ehegattentrennungsunterhalt zu zahlen und den Antrag insgesamt abzuweisen, soweit er über März 2023 hinaus zur Zahlung verpflichtet worden sei. Die Antragstellerin hat mit ihrer Anschlussbeschwerde beantragt, in Abänderung des Beschlusses des FamG den Antragsgegner zu verpflichten, an die Antragstellerin für die Monate März 2022 bis Dezember 2022 einen rückständigen Trennungsunterhalt i.H.v. 14.635,00 EUR zu zahlen sowie ab Februar 2023 einen monatlichen Trennungs-Elementarunterhalt i.H.v. 2.419,00 EUR und einen Altersvorsorgeunterhalt i.H.v. 581,00 EUR. Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem OLG hat der Antragsgegner seine Beschwerde zurückgenommen, worauf die Anschlussbeschwerde gegenstandslos wurde. Das OLG hat sodann den Wert des Beschwerdeverfahrens auf 37.327,00 EUR festgesetzt.
II. Die Werte von Beschwerde und Anschlussbeschwerde sind zu addieren
Die Festsetzung des Beschwerdewerts beruht auf den §§ 55 Abs. 2, 39 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2, 40 Abs. 1 S. 1, 51 Abs. 1 und 2 S. 1 FamGKG. Danach sind die mit der Beschwerde und der Anschlussbeschwerde geltend gemachten Ansprüche zusammenzurechnen.
2. Es fehlt an der wirtschaftlichen Identität
Mangels wirtschaftlicher Identität der Gegenstände ist nicht nach § 39 Abs. 2 i.V.m. § 39 Abs. 1 S. 3 FamGKG auf den Wert des höheren Anspruchs abzustellen. Zwar hätte der Erfolg des einen Rechtsmittels den Misserfolg des anderen Rechtsmittels zur Folge. Eine dahingehende Entscheidung hätte aber erst bei Spruchreife getroffen werden können. Für den Verfahrenswert kommt es jedoch auf das Interesse der Beteiligten im Zeitpunkt der Einlegung des Rechtsmittels an (§ 34 S. 1 FamGKG). Zu diesem Zeitpunkt steht noch nicht fest, ob das eingelegte Rechtsmittel Erfolg hat. Hätte die Beschwerde keinen Erfolg gehabt, hätte dies nicht notwendigerweise den Erfolg der Anschlussbeschwerde zur Folge gehabt. Denn auch die erstinstanzliche Entscheidung könnte zutreffen, sodass im Beschwerdeverfahren weder ein höherer noch ein niedrigerer Anspruch zwangsläufig hätte tituliert werden müssen.
3. Unselbstständigkeit der Anschlussbeschwerde ist unerheblich
Dass es sich vorliegend um eine unselbstständige Anschlussbeschwerde handelte, die gem. § 66 S. 2 FamFG – anwendbar wegen der nach § 117 Abs. 2 FamFG auf § 524 Abs. 2 S. 2 und 3 ZPO beschränkten Verweisung (vgl. auch Feskorn, MDR 2016, 921) – infolge der Rücknahme der Beschwerde ihre Wirkung verlor, steht dieser Wertung nicht entgegen (NK-GK/Hagen Schneider, 3. Aufl., 2021, FamGKG § 39 Rn 31 m.w.N.).
III. Bedeutung für die Praxis
1. Identitätsformel des RG
Nach der vom Reichsgericht in RGZ 145, 164 entwickelten sog. Identitätsformel liegt derselbe Streitgegenstand vor, wenn das Zusprechen der Klage zwingend zur Folge hat, dass die Widerklage abgewiesen werden muss und wenn das Zusprechen der Widerklage zwingend zur Folge hat, dass die Klage abgewiesen werden muss. Derselbe Gegenstand in einem Rechtsmittelverfahren liegt danach vor, wenn der Erfolg des Rechtsmittelführers zugleich zur Folge hat, dass das Rechtsmittel des Rechtsmittelgegners zurückzuweisen ist und wenn der Erfolg des Rechtsmittelgegners zwingend zur Zurückweisung des Rechtsmittels des Rechtsmittelführers führt. Diese Identitätsformel hat auch heute noch grds. Gültigkeit.
2. Wirtschaftliche Identität muss hinzukommen
Im Laufe der Zeit hat man aber erkannt, dass die Identitätsformel für sich genommen nicht ausreichend ist, um alle Fälle abzudecken. Vielmehr hat man erkannt, dass neben dem wechselseitigen Ausschluss auch eine wirtschaftliche Identität hinzukommen muss. Am besten lässt sich dies bei wechselseitigen Anträgen auf Zugewinn erkennen. Machen Ehegatten wechselseitig Zugewinnausgleichsansprüche geltend, kann nur einer von ihnen obsiegen; gleichwohl werden die Werte addiert, da es um wirtschaftlich unterschiedliche Positionen geht (OLG Köln NZFam 2014, 607; OLG Hamm NZFam 2016, 423). Gleiches gilt bei wechselseitig...