§ 130d ZPO; §§ 44, 45, 464b StPO
Leitsatz
- Bedient sich der Strafverteidiger – ggf. auch bei nur fakultativer Nutzung – zur Übermittlung eines Schriftstücks im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs an das Strafgericht dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach (beA), gelten für ihn zugleich die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung für die Ziviljustiz entwickelten Sorgfaltspflichten.
- Mit der Vergabe eines sinnvollen Dateinamens ist nicht nur der Reduzierung des Aufwands für Gerichte bei der Führung einer elektronischen Akte gedient, sondern auch dem Rechtsanwalt, der Fehlerquellen bei der Übermittlung fristgebundener Schriftstücke auf elektronischem Wege möglichst zu eliminieren gesucht.
LG Limburg, Beschl. v. 16.4.2024 – 2 Qs 123/23
I. Sachverhalt
Das AG hat den Betroffenen vom Vorwurf einer Verkehrsordnungswidrigkeit freigesprochen. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Betroffenen hat das AG der Staatskasse auferlegt. Auf den Antrag des Freigesprochenen, seine Gebühren und Auslagen gegen die Staatskasse auf insgesamt 1.535,80 EUR festzusetzen, hat die Rechtspflegerin des AG die Kosten auf insgesamt nur 1.274,00 EUR festgesetzt und den darüber hinaus geltend gemachten Betrag als unbegründet zurückgewiesen. Die förmliche Zustellung des Kostenfestsetzungsbeschlusse an den Verteidiger ist am 27.7.2022 erfolgt.
Mit Schriftsatz am 2.12.2022 beim AG eingegangen Schriftsatz hat der Verteidiger darum gebeten, dem Verfahren unter dem Betreff "Diesseitige sofortige Beschwerde" Fortgang zu gewähren. Das AG hat den Verteidiger am 14.12.2022 darauf hingewiesen, dass eine sofortige Beschwerde vom 27.7.2022 in der Akte nicht feststellbar sei und entsprechend um Überprüfung bzw. weiteren Vortrag gebeten. Der Verteidiger hat darauf mit am 21.12.2022 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz als Anlage "die diesseitige sofortige Beschwerde vom 27.7.2022" sowie einen "beA-Sendenachweis ("erfolgreich") vom 28.7.2022" übersandt. In dem anliegenden Schriftsatz vom 27.7.2022 hat der Verteidiger sofortige Beschwerde gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 25.5.2022 erhoben. Der Verteidiger hat eine Dokumentation zu einer Nachricht aus dem besonderen elektronischen Postfach (beA) vorgelegt. Nach dem vorgelegten beA-Sendenachweis soll bei dem AG unter dem Dateinamen "a-b-c-d.pdf" aus dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach (beA) des Verteidigers und unter dessen Nutzer-ID am 28.7.2022 "erfolgreich" ein Schriftsatz übermittelt worden sein. Unter der Überschrift "Zusammenfassung Prüfprotokoll" sind in der Spalte "Meldetext" die Ausführung des Auftrags und Beendigung des Dialogs notiert. In der Spalte "Zugegangen" sind Datum und Zeit des 28.7.2022 um 10:08 Uhr sowie als "Übermittlungsstatus" "erfolgreich" protokolliert. Der Verteidiger hat hierzu vorgetragen, dass der beA-Sendenachweis die digitale Übermittlung am 28.7.2022 als "erfolgreich" bestätige. Zugleich hat der Verteidiger vorsorglich die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.
Das AG hat nach Überprüfung des EGVP-Systems keine Feststellungen (mehr) zum Posteingang treffen können. Die Anfrage des AG an die Verteidigung vom 12.1.2023 zur Mitteilung der vollständigen "Nachrichten ID (egvp2.hessen.de…)", um über die IT-Stelle den Inhalt der am 28.7.2022 übermittelten Nachricht zu ermitteln, ist unbeantwortet geblieben.
Das LG hat die gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss der Rechtspflegerin gerichtete sofortige Beschwerde als unzulässig verworfen, da sie nicht innerhalb der Zwei-Wochen-Frist gem. § 464b S. 4 StPO eingelegt worden sei. Es hat auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.
II. Voraussetzungen der Wiedereinsetzung bei beA-Nutzung in Straf-/Bußgeldverfahren
Der BGH stelle an die Nutzung des beA Sorgfaltsanforderungen. Dieser von der höchstrichterlichen Rspr. entwickelte Maßstab an den sorgfältigen Umgang mit dem beA gilt nach Auffassung des LG Limburg nicht nur in der Ziviljustiz. Seit dem 1.1.2022 müssen anwaltliche Schriftsätze als elektronisches Dokument gem. § 130d S. 1 ZPO über das beA bei Zivilgerichten eingereicht werden. Eine für die Strafjustiz gleich umfangreiche Regelung habe der Gesetzgeber bislang nicht getroffen. Mit der Einführung der §§ 32 ff. StPO habe der Gesetzgeber indes die Grundlagen für die elektronische Akte und die elektronische Kommunikation im Strafverfahren gelegt. Durch Inkrafttreten des § 32d StPO sollen Verteidiger und Rechtsanwälte den Strafverfolgungsbehörden und Gerichten Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen als elektronisches Dokument übermitteln. Eine Pflicht zur elektronischen Übermittlung bestehe für die Berufung und ihre Begründung, die Revision, ihre Begründung und die Gegenerklärung sowie die Privatklage und die Anschlusserklärung bei der Nebenklage.
1. Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit der Übermittlung von fristgebundenen Schriftsätzen
Bediene sich der Strafverteidiger – unabhängig einer ggf. nur fakultativen Nutzung – zur Übermittlung eines Schriftstücks an das Strafgericht im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs dem beA, gelten...