RVG §§ 8, 15 Abs. 5 S. 2, 60 f. ZPO § 251
Leitsatz
Ruht das Verfahren mehr als zwei Kalenderjahre, so gilt die weitere Tätigkeit des Rechtsanwaltes nicht als neue Angelegenheit; § 15 Abs. 5 S. 2 RVG ist nicht anwendbar.
OLG Köln, Beschl. v. 24.9.2010 – 17 W 190/10
1 Sachverhalt
Die Klage wurde 2003 erhoben. Noch im selben Jahr wurde auf übereinstimmenden Antrag der Parteien das Ruhen des Verfahrens gem. § 251 ZPO angeordnet. Während der Ruhenszeit legte die seitens der Beklagten mandatierte Sozietät das Mandat nieder und teilte mit, ihr Sozius wechsele zu einer anderen Kanzlei, von der das Mandat weitergeführt werde. Im Jahre 2008 nahm der Kläger das Verfahren wieder auf, nachdem der BGH eine Grundsatzentscheidung erlassen hatte. Das LG beraumte hieraufhin Termin zur mündlichen Verhandlung an. Da die Beklagte den Klageanspruch nunmehr anerkannte, hob das LG den Termin wieder auf und erließ Anerkenntnisurteil. Auf das Rechtsmittel der Beklagten legte es in der Folge die Kosten des Rechtsstreits unter entsprechender Abänderung des Anerkenntnisurteils in voller Höhe dem Kläger auf.
Ihren Kostenfestsetzungsantrag hat die Beklagte auf der Grundlage des RVG gestellt. Sie ist der Ansicht, dieses Gesetz sei deshalb anzuwenden, weil die Mandatierung der heutigen Verfahrensbevollmächtigten erst zum 1.4.2005 erfolgt sei, also nach dem Inkrafttreten des RVG. Dass dies seine Ursache darin habe, dass Rechtsanwalt L. die Sozietät gewechselt habe, sei nicht von Bedeutung. Dieser habe das Mandat nicht "mitgenommen", sondern das vorherige Mandatsverhältnis sei beendet und ein neues begründet worden. Wollte man das Mandat nach den Sätzen der BRAGO abrechnen, so führe dies zu einer gesetzeswidrigen Gebührenunterschreitung.
Der Kläger meint, der Kostenfestsetzung sei die BRAGO zugrunde zu legen. Es könne nicht zu seinen Lasten gehen, dass Rechtsanwalt L. das Mandat in die neue Kanzlei "mitgenommen" habe. Es komme allein auf das ursprünglich zu Zeiten der Geltung der BRAGO erteilte Mandat an.
Der Rechtspfleger hat die Festsetzung nach der BRAGO vorgenommen und zur Begründung angeführt, dass bei einem nicht notwendigen Anwaltswechsel nur die (niedrigeren) Gebühren festsetzungsfähig seien, die der Rechtslage zur Zeit der Begründung des Mandates entsprächen. Demgemäß hat er dem Rechtsmittel nicht abgeholfen und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.
Die sofortige Beschwerde hatte keinen Erfolg.
2 Aus den Gründen
Zu Recht hat der Rechtspfleger die Kostenfestsetzung auf der Grundlage der BRAGO vorgenommen.
1. Nach einhelliger Ansicht in Rspr. (BGH AGS 2006, 323 = NJW 2006, 1525 = Rpfleger 2006, 437; s. a. LG Berlin JurBüro 1988, 601) und Lit. (Mayer, in: Gerold/Schmidt u.a., RVG, 19. Aufl., § 60 Rn 23; N. Schneider, in: N. Schneider/Wolf, RVG, 5. Aufl., § 61 Rn 97; ders., AGS 2004, 221, 223) ist die Festsetzung nach der zur Zeit der Anordnung des Ruhens des Verfahrens oder der Aussetzung geltenden Rechtslage vorzunehmen, wenn das Verfahren erst nach dem Stichtag, an dem die Gesetzesänderung in Kraft getreten ist, wieder aufgenommen wird.
Uneinheitlich wurde bzw. wird allein die Frage beantwortet, ob in einem solchen Fall § 15 Abs. 5 S. 2 RVG jedenfalls analog anzuwenden ist, wenn die Unterbrechung mehr als zwei Jahre dauert, so wie vorliegend. Dies hätte zur Folge, dass das weitere Tätigwerden des Anwaltes als neue Angelegenheit gelten würde, so dass die Gebühren ein weiteres Mal anfielen. Zur Begründung wird angeführt, nach solch einer langen Zeit müsse sich der Anwalt in die Sache ebenso intensiv (wieder) einarbeiten, wie bei einem neuen Mandat. Dieser Ansicht ist das OLG Brandenburg (AGS 2009, 432, N. Schneider, AGS 2004, 221, 223; ders., in: Hansens/Braun/Schneider, Praxis des Vergütungsrechts, 2. Aufl., Teil 20, Rn 37; Mayer, a.a.O.,) gefolgt.
Nach der Gegenansicht (BGH, a.a.O.; N. Schneider, in: N. Schneider/Wolf, a.a.O.; ders., in: Anm. zu OLG Brandenburg a.a.O.; Zöller/Greger, ZPO, 28. Aufl., § 251 Rn 6) ist § 15 Abs. 5 S. 2 RVG in Fällen des Ruhens des Verfahrens (ebenso im vergleichbaren Fall der Aussetzung) nicht anwendbar, auch wenn eine Unterbrechung von zwei Kalenderjahren oder mehr vorliegt.
Dieser Meinung ist zu folgen. Der BGH hat zur Begründung ausgeführt, dass der Begriff der Erledigung in § 13 Abs. 5 S. 2 BRAGO (jetzt: § 15 Abs. 5 S. 2 RVG) eine andere Bedeutung habe als in § 16 S. 2 BRAGO (jetzt: § 8 Abs. 1 S. 2 RVG). Die in der letztgenannten Vorschrift angeführten Fälle, in denen die Vergütung fällig werde, ohne dass der Auftrag erledigt wäre, stellten keine Erledigung i.S.d. § 13 Abs. 5 S. 2 BRAGO (jetzt: § 15 Abs. 5 S. 2 RVG) dar. Sowohl nach dem Gesetzeswortlaut als auch nach den Gesetzesmaterialien (vgl. BT-Drucks 12/6962, S. 102) sei für die Festlegung des Zeitpunkts, an dem die Zwei-Jahres-Frist zu laufen beginne, die Erledigung des Auftrages maßgeblich. Der Hinweis in der Gesetzesbegründung, dass der Zeitpunkt der Erledigung die bis dahin entstandenen Gebühren gem. § 16 BRAGO (jetzt: § 8 RVG) fällig werden lasse, besage nichts Gegenteiliges. § 13 A...