StPO § 143; RVG § 48 Abs. 1; RVG VV Nrn. 7003, 7005
Leitsatz
- Die durch den Begriff der Mehrkosten bei einer Umbeiordnung geschützten Fiskalinteressen reichen nicht weiter, als wenn der Beschuldigte den jetzt gewählten Verteidiger von vornherein bezeichnet hätte und dieser hätte beigeordnet werden können (Anschluss an OLG Oldenburg, Beschl. v. 21.3.2017 – 1 Ws 122/17).
- Unter Berücksichtigung des Umstandes, dass nach dem 2. Opferrechtsreformgesetz v. 29.7.2009 das Kriterium der Gerichtsnähe des Verteidigers i.d.R. keine entscheidende Voraussetzung für die Verteidigerbestellung mehr ist, ist der Mehrkostenbegriff bei einer Umbeiordnung dahingehend auszulegen, dass diejenigen Gebührenpositionen ausgeschlossen werden sollen, die durch die Umbeiordnung doppelt entstehen.
OLG Celle, Beschl. v. 6.2.2019 – 2 Ws 37/19
1 Sachverhalt
Das AG Hannover hatte einen ortsansässigen Verteidiger zum Pflichtverteidiger des Angeklagten bestellt. Mit Beschl. v. 5.2.2018 entpflichtete das AG den ortsansässigen Verteidiger und ordnete den jetzigen Verteidiger, der seinen Kanzleisitz in G. hat, unter dem Hinweis bei, dass durch die Umbeiordnung entstehende Mehrkosten nicht erstattet werden. Die Beschwerde des jetzigen Verteidigers verwarf das LG Hannover u.a. mit der Begründung, dass die erfolgte Umbeiordnung nur möglich gewesen sei, wenn der Staatskasse keine Mehrkosten entstehen.
Mit Kostenfestsetzungsantrag begehrte der jetzige Verteidiger die Gebührenfestsetzung i.H.v. 1.265,92 EUR. Durch Entscheidung der Kostenbeamtin wurden auf diesen Antrag 785,40 EUR festgesetzt und angewiesen, wobei Fahrtkosten für drei Hauptverhandlungstermine i.H.v. jeweils 99,60 EUR (Nr. 7003 VV) und Abwesenheitsgeld i.H.v. einmal 25,00 EUR (Nr. 7005/1 VV) und zweimal 40,00 EUR (Nr. 7005/2 VV) nebst anteiliger USt. in Abzug gebracht wurden. Diese Kostenpositionen seien lediglich durch die Umbeiordnung entstanden, da der Verteidiger aus G. komme und nicht wie der vormalige Verteidiger aus Hannover.
Gegen diese Entscheidung legte der Verteidiger Erinnerung ein, die mit Beschluss des Amtsgerichts Hannover als unbegründet zurückgewiesen wurde. Die gegen diesen Beschluss gerichtete Beschwerde des Verteidigers verwarf das LG und ließ zugleich die weitere Beschwerde zu. Mit der weiteren Beschwerde verfolgt der Verteidiger sein Begehren der vollständigen Festsetzung weiter.
2 Aus den Gründen
Die weitere Beschwerde ist zulässig, insbesondere gem. §§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 6 S. 1 u. 4, Abs. 3 S. 3 RVG fristgerecht eingelegt. Zwar wurde der Beschl. des LG bereits am 18.12.2018 an den Verteidiger übersandt und die weitere Beschwerde ging erst am 21.1.2019 beim LG ein. Dies führt aber vorliegend nicht zur Unzulässigkeit der Beschwerde. Das LG hat trotz fristgebundener Beschwerdemöglichkeit gegen den Beschluss keine Zustellung verfügt, sondern diesen gem. Verfügung v. 18.12.2018 lediglich formlos übersandt. Da eine Zustellung von Amts wegen zu erfolgen hat, aber eine Zustellung des Beschlusses vorliegend nicht beabsichtigt war, wurde die Beschwerdefrist nicht in Lauf gesetzt. Es konnte auch keine Heilung gem. § 37 Abs. 1 StPO, § 189 ZPO eintreten, denn diese setzt eine fehlgeschlagene Zustellung mit Zustellungswillen des Gerichts voraus (vgl. BGH, Beschl. v. 26.11.2002 – VI ZB 41/02 und Urt. v. 7.12.2010 – VI ZR 48/10; OLG Brandenburg, Urt. v. 16.1.2019 – 7 U 104/16; Wittschier, in: Musielak, ZPO, 11. Aufl., 2014, § 189 ZPO, Rn 2; Schultzky, in: Zöller, ZPO, 32. Aufl., 2018, § 189 ZPO, Rn 2).
In der Sache hat die weitere Beschwerde Erfolg.
Zutreffend stellt die Kammer im Ausgangspunkt darauf ab, dass sich der Vergütungsanspruch nach dem Beiordnungsbeschluss bestimmt, § 48 Abs. 1 RVG. Durch diesen wurde vorliegend eine Erstattung der durch die Umbeiordnung entstandenen Mehrkosten ausgeschlossen. Von dem auslegungsfähigen Begriff der "Mehrkosten" sind die hier geltend gemachten Positionen der Fahrtkosten und des Abwesenheitsgeldes jedoch nicht erfasst. Mit dem Begriff der Mehrkosten werden Fiskalinteressen geschützt: Der Fiskus soll durch den Sinneswandel des Beschuldigten nicht belastet werden. Die so zu schützenden Fiskalinteressen reichen aber nicht weiter, als wenn der Beschuldigte den jetzt gewählten Verteidiger von vornherein bezeichnet hätte und dieser hätte beigeordnet werden können (OLG Oldenburg, Beschl. v. 21.3.2017 – 1 Ws 122/17 u. v. 23.4.2015 – 1 Ws 170/15). Angesichts der durch das 2. Opferrechtsreformgesetz v. 29.7.2009 erfolgten Streichung der früheren gesetzlichen Einschränkung, dass der Verteidiger möglichst aus der Zahl der örtlichen Rechtsanwälte ausgewählt werden sollte, ist die Gerichtsnähe des Verteidigers keine wesentliche Voraussetzung mehr (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl., 2018, § 142, Rn 5; vgl. Laufhütte/Willnow, in: Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 7. Aufl., 2013, § 142, Rn 5). Zwar kann der ortsferne Kanzleisitz des gewählten Verteidigers nach wie vor im Einzelfall einen Grund darstellen, die Bestellung des gewünschten Rechtsanwalts abzulehnen. Im Bestellungsverfahren trit...