ZPO § 299 Abs. 1; EGGVG §§ 23 ff.
Leitsatz
- Zum berechtigten Interesse eines Rechtsschutzversicherers, der Deckungsschutz gewährt hat, an der Einsicht in Akten über einen Rechtsstreit zwischen dem Versicherungsnehmer und einem Dritten zwecks Prüfung der Frage, ob dem Versicherer ein kraft Gesetzes (§ 86 VVG) übergegangener Regressanspruch des Versicherungsnehmers gegen seinen Prozessbevollmächtigten zusteht.
- Zur Nachholung der Ermessensentscheidung durch die Justizverwaltungsbehörde
OLG Hamm, Beschl. v. 21.1.2020 – 15 VA 35/19
1 Sachverhalt
Der Beteiligte zu 2) hatte, vertreten durch Rechtsanwalt R, die Xbank eG vor dem LG auf Zahlung in Anspruch genommen. Die Beteiligte zu 1) hatte dem Beteiligten zu 2) aufgrund des bei ihr bestehenden Rechtsschutzversicherungsvertrages für den Prozess eine Deckungszusage erteilt. Das Verfahren vor dem LG ist durch klageabweisendes Urteil beendet worden. Die Beteiligte zu 1) hat nach ihren unwidersprochenen Angaben die Kosten des Rechtsstreits übernommen.
Nach Abschluss des Verfahrens hat die Beteiligte zu 1) beantragt, ihr Einsicht in diese Verfahrensakte zu gewähren, da sie das Bestehen von Regressansprüchen gegen den Verfahrensbevollmächtigten des Beteiligten zu 2) prüfen wolle. Der Beteiligte zu 2) ist der beantragten Akteneinsicht entgegen getreten.
Mit Bescheid hat der Präsident des LG den Antrag auf Akteneinsicht zurückgewiesen und zur Begründung angeführt, dass die Beteiligte zu 1) ein rechtliches Interesse an der Akteneinsicht i.S.d. § 299 ZPO nicht glaubhaft gemacht habe.
Gegen diesen Bescheid richtet sich der Antrag des Beteiligten zu 1) auf gerichtliche Entscheidung.
Der Senat hat die Verfahrensakten des LG beigezogen und dem Beteiligten zu 2) Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.
2 Aus den Gründen
Der Antrag des Beteiligten zu 1) auf gerichtliche Entscheidung ist zulässig.
Lehnt der Präsident des LG das Akteneinsichtsgesuch eines nicht am Verfahren beteiligten Dritten ab, so trifft er als Justizbehörde eine Maßnahme zur Regelung einer einzelnen Angelegenheit auf dem Gebiet des Zivilprozesses, gegen die der Antrag auf gerichtliche Entscheidung gem. § 23 EGGVG statthaft ist.
In der Sache hat der Antrag der Beteiligten zu 1) in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.
Nach § 299 Abs. 2 ZPO kann der Vorstand des mit dem Rechtsstreit befassten Gerichts ohne die Einwilligung der Parteien die Einsicht der Akten nur gestatten, wenn ein rechtliches Interesse glaubhaft gemacht wird. Ist nach der Auffassung des Gerichtsvorstands ein rechtliches Interesse des die Akteneinsicht Begehrenden glaubhaft gemacht, steht die Gewährung der Akteneinsicht in dem pflichtgemäßem Ermessen des Gerichtsvorstands (MüKo-ZPO/Prütting, 5. Aufl., 2013, § 299 Rn 23; OLG Frankfurt, Beschl. v. 1.2.2007 – 20 VA 13+14/06 m.w.N.). Im Rahmen dieser Ermessensentscheidung sind dann die Akten dahingehend zu untersuchen, ob durch die Kenntnisnahme Dritter schutzwürdige Interessen der Parteien verletzt werden können. In diesen Fällen ist bei der Ermessensentscheidung des Gerichtsvorstands das Geheimhaltungsbedürfnis der Parteien mit dem Informationsbedürfnis des Dritten abzuwägen. Bei besonderem Parteiinteresse können etwa Namen geschwärzt oder besonders geheimhaltungsbedürftige Aktenteile vor der Einsichtnahme aus den Akten entnommen werden (vgl. dazu MüKo-ZPO/Prütting, a.a.O., § 299 Rn 25). Die Ermessensausübung des Gerichtsvorstands beginnt allerdings erst nach der Feststellung eines rechtlichen Interesses i.S.d. § 299 Abs. 2 ZPO (OLG Frankfurt, a.a.O.; OLG Köln NJW-RR 1999, 1561).
Der Senat geht abweichend von der Beurteilung des Präsidenten des LG davon aus, dass der Beteiligte zu 1) ein rechtliches Interesse i.S.d. § 299 Abs. 2 ZPO glaubhaft gemacht hat.
Unter einem rechtlichen Interesse i.S.d. § 299 Abs. 2 ZPO ist ein Interesse zu verstehen, das sich unmittelbar aus der Rechtsordnung selbst ergibt und ein auf Rechtsnormen beruhendes oder durch solche geregeltes, gegenwärtig bestehendes Verhältnis einer Person zu einer anderen Person oder zu einer Sache voraussetzt (vgl. BGHZ 4, 323, 325; Senat NJW-RR 1997, 1489; OLG München ARB 2011, 79; KG OLGZ 1988, 190 = NJW 1988, 1738; OLG Hamburg NJW-RR 2002, 408; OLG Brandenburg NJW-RR 2001, 1419; OLG Köln NZG 1998, 156). Diese Rechtsbeziehung muss entweder den Gegenstand des Verfahrens bilden, in dessen Akte die Einsicht begehrt wird, oder es muss jedenfalls feststehen, dass der Streitstoff dieses Verfahrens die Individualrechte des Antragstellers berührt (OLG Frankfurt, a.a.O.). Ein rechtliches Interesse ist regelmäßig gegeben, wenn die erstrebte Kenntnis von dem Inhalt der Akten zur Verfolgung von Rechten oder zur Abwehr von Ansprüchen erforderlich ist (OLG Frankfurt NJW-RR 2004, 1194).
Nach diesen Maßstäben ist im vorliegenden Fall ein rechtliches Interesse des Beteiligten zu 1) an der Einsicht in die Akte des zivilgerichtlichen Verfahrens zu bejahen.
Die rechtliche Beziehung der Beteiligten zu 1) zu den verfahrensrechtlichen Vorgängen des Zivilprozesses ergibt sich hier aus dem zwischen ihr und dem Be...