§§ 1, 12c, 33 Abs. 3–8, 56 Abs. 2 RVG; § 66 Abs. 2 SGG
Leitsatz
- Die Vorschriften über die Erinnerung und Beschwerde in Vergütungsfestsetzungsverfahren des RVG gehen denen des SGG als lex specialis vor. Daher ist die Beschwerde in PKH-Erinnerungsverfahren zulässig.
- Die Beschwerde ist innerhalb einer zweiwöchigen Frist gem. §§ 56 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 3 S. 3, 1 Abs. 3 RVG einzulegen.
- Fristwahrend ist gem. § 33 Abs. 7 S. 3 RVG ausschließlich der Beschwerdeeingang bei dem Gericht, dessen Entscheidung angefochten wird.
- Bei einer fehlerhaften Rechtsbehelfsbelehrung gilt die Jahresfrist des § 66 Abs. 2 SGG nicht; zugleich eröffnet diese nicht die Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
LSG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 24.2.2021 – L 21 AS 1631/18 B
I. Sachverhalt
Der im Ausgangsverfahren vor dem Sozialgericht (Grundsicherung für Arbeitssuchende) beigeordnete Rechtsanwalt beantragte nach Vergleich im Termin die Festsetzung und Anweisung seiner PKH-Vergütung aus der Landeskasse. Aufgrund gekürzter Festsetzung (Teilablehnung) der beantragten Vergütung erhob der beigeordnete Rechtsanwalt Erinnerung nach § 55 Abs. 1 RVG, welche das Sozialgericht mit Beschl. v. 21.9.2018 als unbegründet zurückgewiesen hat.
Dem erstinstanzlichen Erinnerungsbeschluss war seinerzeit eine "Rechtsmittelbelehrung" beigefügt gewesen, wonach gegen diesen Beschluss binnen zwei Wochen nach Bekanntgabe Beschwerde bei dem Sozialgericht schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt werden könne. Zugleich sei die Beschwerdefrist auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist bei dem Landessozialgericht schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt werde.
Der Zurückweisungsbeschluss im Erinnerungsverfahren ist dem Erinnerungs- und Beschwerdeführer unter dem 4.10.2018 nachweislich zugestellt worden, welcher gleichen Datums die Beschwerde bei dem Landessozialgericht als zuständiges Beschwerdegericht (entsprechender der unrichtigen Rechtsmittelbelehrung) eingelegt hat.
Nachfolgend hat das LSG die Akten bei dem erstinstanzlichen Gericht angefordert und auf Nachfrage die Mitteilung erhalten, das SG habe der (allein durch die Aktenanforderung erfahrenen) Beschwerde am 15.11.2018 nicht abgeholfen.
Die allein an das Landessozialgericht adressierte Beschwerde ist nicht an das SG weitergeleitet worden.
Nachdem im Folgenden der Bezirksrevisor als Beschwerdegegner auf die Unzulässigkeit der Beschwerde hingewiesen hat (Verfristung sowie Einlegung bei falschem Gericht), wies der Beschwerdeführer am 18.3.2019 auf die fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung hin, wonach die Beschwerde fristwahrend auch bei dem Landessozialgericht eingelegt werden könne. Im weiteren Verlauf beantragte der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 1.7.2020 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gem. § 33 Abs. 5 RVG.
Die Beschwerde ist als unzulässig verworfen worden, da diese nicht fristgemäß bei dem Gericht, dessen Entscheidung angefochten wurde, eingelegt worden ist. Auch entschied das LSG, dass die Beschwerde nicht als fristgemäß anzusehen war, weil über die Beschwerdefrist unzutreffend belehrt worden war.
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wurde ebenfalls nicht gewährt, da ein entsprechender Antrag schon nicht innerhalb der Frist des § 33 Abs. 5 S. 5 RVG gestellt worden war.
II. Beschwerde eröffnet
Im PKH-Vergütungsfestsetzungsverfahren gegen Erinnerungsentscheidungen der Sozialgerichte ist die Beschwerde gem. §§ 56 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 3 RVG zulässig. Der Beschwerdeweg ist eröffnet.
Die gegenteilige Auffassung, wonach die Beschwerde gegen Erinnerungsentscheidungen der Sozialgerichte an die Landessozialgerichte ausgeschlossen sein soll und das SG aufgrund § 178 S. 1 SGG endgültig entscheide, dürfte aufgrund der mit dem 2. KostRMoG 2013 eingeführten gesetzlichen Regelung des § 1 Abs. 3 RVG längst nicht mehr haltbar sein.
Nach § 1 Abs. 3 RVG gehen die Vorschriften des RVG über die Erinnerung und die Beschwerde den Regelungen der für das zugrunde liegende Verfahren geltenden Verfahrensvorschriften (hier denen des SGG) vor.
Demnach verdrängen die spezielleren Sonderregelungen des RVG über die Erinnerung und Beschwerde die allgemeinen prozessualen Regelungen des Sozialgerichtsgesetzes (LSG Bayern, Beschl. v. 18.1.2007 – L 15 B 224/06; LSG Mecklenburg-Vorpommern, Beschl. v. 17.7.2008 – L 6 B 93/07, Beschl. v. 29.7.2008 – L 6 B 141/07; LSG NRW, Beschl. v. 28.5.2008 – L 20 B 7/08, Beschl. v. 29.1.2008 – L 1 B 35/07 AS, Beschl. v. 24.9.2008 – L 19 B 21/08 AS; LSG Sachsen, Beschl. v. 8.2.2008 – L 6 B 466/07 R; LSG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 17.7.2008 – L 1 B 127/08 SK; Thür. LSG, Beschl. v. 29.4.2008 – L 6 B 32/08 SF).
Das RVG trifft spezielle und abschließende Regelungen für den Vergütungsanspruch des beigeordneten Rechtsanwalts (Entstehung, Höhe, Fälligkeit pp.) gegen die Landeskasse und nicht betreffend den prozessual zur Erstattung von Prozesskosten verpflichteten Dritten.
Darüber hinaus wird § 178 S. 1 SGG bei Bewilligung von PKH durch den Verweis aus § 73a Ab...