Nrn. 7003 ff. VV RVG; § 91 ZPO
Leitsatz
Beauftragt eine Partei einen Prozessbevollmächtigten an einem dritten Ort, obwohl dies nicht notwendig war, sind dessen Reisekosten gleichwohl zu erstatten bis zur höchstmöglichen Entfernung innerhalb des Gerichtsbezirks.
LG Oldenburg, Beschl. v. 7.12.2020 – 13 O 1208/20
I. Sachverhalt
Die innerhalb des LG-Bezirks ansässige Beklagte war vor dem LG Oldenburg verklagt worden und hatte als Prozessbevollmächtigten einen Anwalt an einem dritten Ort beauftragt, also einen Anwalt, der weder am Gerichtsort noch am Sitz der Beklagten ansässig war. Nach Abschluss des Verfahrens meldete die Beklagte dessen Reisekosten zur Festsetzung an. Sie berief sich darauf, dass zwischen ihr und dem Prozessvollbevollmächtigten ein besonderes Vertrauensverhältnis bestehe und der Prozessbevollmächtigte in einer Vielzahl ähnlich gelagerter Sachverhalte eingebunden sei. Das Gericht hat die Reisekosten lediglich i.H.d. höchstmöglichen Entfernung innerhalb des Landgerichtbezirks festgesetzt.
II. Notwendigkeit der Beauftragung des Anwalts am dritten Ort
Grds. sind die Reisekosten eines Anwalts i.H.d. Entfernung zwischen dem Sitz der Partei und dem Gericht erstattungsfähig, da eine Partei grds. berechtigt ist, einen Anwalt an ihrem Sitz zu beauftragen (BGH AGS 2003, 97 = BRAGOreport 2003, 13). Es besteht keine Obliegenheit, einen am Gerichtsort ansässigen Anwalt zu beauftragen.
Wird ein Anwalt an einem dritten Ort beauftragt, so ist zunächst eine Notwendigkeitsprüfung durchzuführen. Danach war hier die Beauftragung des Anwalts am dritten Ort hier aber nicht notwendig. Ein besonderes Vertrauensverhältnis zwischen der Partei und dem Beklagtenvertreter führt für sich genommen noch nicht zur Notwendigkeit (vgl. Gerold/Schmidt, RVG, 25. Aufl., 2021, Nr. 7003 bis 7006 VV Rn 131). Unerheblich ist insoweit auch, dass der Prozessbevollmächtigte in einer Vielzahl ähnlich gelagerter Sachverhalte bereits eingebunden war. Auch am Geschäftsort der Beklagten bzw. in unmittelbarer Umgebung hätte es geeignete Anwälte gegeben, die von der Beklagten in diesem Fall hätten beauftragt werden können.
Die fehlende Notwendigkeit der Einschaltung eines Anwalts am dritten Ort führt jedoch nicht dazu, dass dessen Reisekosten nicht erstattet werden oder nur bis zur Höhe der Entfernung zwischen dem Sitz der Beklagten und dem Gericht. Vielmehr sind nach der Rspr. des BGH (NJW 2018, 2572) die Reisekosten eines Anwalts am dritten Ort zu erstatten bis zur höchstmöglichen Entfernung innerhalb des Gerichtsbezirks. Insoweit hat das Gericht eine Entfernung von 87 km ermittelt und in dieser Höhe die Reisekosten für erstattungsfähig angesehen.
III. Bedeutung für die Praxis
1. Reisekosten im Gerichtsbezirk immer erstattungsfähig
Die Entscheidung ist dem Grunde nach zutreffend. Die Reisekosten eines im Gerichtsbezirk niedergelassenen Anwalts sind stets ohne Notwendigkeitsprüfung zu erstatten (§ 91 Abs. 2 S. 1 ZPO).
2. Anwalt außerhalb des Gerichtsbezirks
Beauftragt eine im Gerichtsbezirk ansässige Partei einen Anwalt, der seine Niederlassung außerhalb des Gerichtsbezirks hat, sind dessen Reisekosten bis zur höchstmöglichen Entfernung innerhalb des Gerichtsbezirks zu erstatten (BGH AGS 2018, 319 = RVGreport 2018, 341). Dabei ist die Prüfung für jede Instanz gesondert vorzunehmen (OLG Frankfurt AGS 2018, 481 = RVGreport 2019, 144). Das LG hat aber verkannt, dass die höchstmögliche Entfernung im LG-Bezirk Oldenburg 106 km beträgt (s. www.gerichtsbezirke.de>).
Rechtsanwalt Norbert Schneider, Neunkirchen
AGS 7/2021, S. 308