§ 9 Abs. 1 S. 1 JVEG
Leitsatz
Nur wenn die Stundensätze eines Privatgutachters ganz erheblich von den im JVEG vorgesehenen Stundensatz abweichen, bedarf es einer besonderen Darlegung der Notwendigkeit.
AG Konstanz, Beschl. v. 22.5.2024 – OWi 52 Js 22028/22
I. Sachverhalt
Der Betroffene ist vom AG vom Vorwurf einer Verkehrsordnungswidrigkeit – inzwischen rechtskräftig – freigesprochen worden. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Betroffenen wurden der Landeskasse auferlegt.
Der Betroffene hat dann seine Auslagen gegenüber geltend gemacht. Diese sind vom AG zum überwiegenden Teil festgesetzt worden.
II. Doppelte Grundgebühr
Der Betroffene war offensichtlich von zwei Rechtsanwälten vertreten worden. Er hat Erstattung von zwei Grundgebühren Nr. 5100 VV verlangt. Das AG hat die Grundgebühr jedoch nur einmal festgesetzt. Die Grundgebühr Nr. 5100 VV sei zwar bei beiden Rechtsanwälten entstanden, erstattungsfähig sei sie jedoch nur einmal. Ein notwendiger Anwaltswechsel, welcher den doppelten Ansatz der Gebühr rechtfertigen würde, sei nicht ersichtlich. Allein ein für den Betroffenen unerfreulicher Verfahrensablauf erfülle nicht das Kriterium der Notwendigkeit.
III. Auslagen für den privaten Sachverständigen
Die geltend gemachten Auslagen für den Privatgutachter hat das AG hingegen festgesetzt. Diese seien sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach erstattungsfähig.
1. Erstattungsfähigkeit dem Grunde nach
Die Erstattungsfähigkeit dem Grunde nach sei von der Vertreterin der Staatskasse zugestanden worden.
2. Erstattungsfähigkeit der Höhe nach
Streitig sei, so das AG, die Höhe der Kosten des Gutachtens. Die Vertreterin der Staatskasse sehe eine Erstattungsfähigkeit lediglich in den Grenzen des JVEG und berufe sich insoweit auf einen Beschl. des LG Konstanz v. 9.5.2023. In dem Fall sei das Gutachten offenbar erst während des gerichtlichen Verfahrens von dem Betroffenen in Auftrag gegeben worden, ohne dass dem Gericht durch Anträge oder Anregungen Gelegenheit gegeben worden sei, durch eigene Aufträge/Ermittlungen kostensparender zu agieren. Hier liege der Fall jedoch so, dass das Gutachten bereits vor Übergang in das gerichtliche Verfahren vom Betroffenen in Auftrag gegeben worden sei, und zwar mit der Intention, ein gerichtliches Verfahren gerade vermeiden zu können.
I.Ü. verweist das AG darauf, dass nur wenn die Stundensätze des Privatgutachters ganz erheblich von den im JVEG vorgesehenen Stundensatz abweichen, es einer besonderen Darlegung der Notwendigkeit bedürfe (BGH NJW 2007, 1532 = RVGreport 2007, 279 = JurBüro 2007, 317; OLG Köln, Beschl. v. 21.9.2015 – I-17 W 64/15, BauR 2016, 1213). Nach der Anlage 1 (Ziff. 37) zu § 9 Abs. 1 S. 1 JVEG betrage der Stundensatz vorliegend 135,00 EUR, geltend gemacht worden seien vorliegend 168,00 EUR, somit ca. 24 % mehr. In Anbetracht dessen, dass es dem Betroffenen kaum möglich gewesen wäre, einen Sachverständigen zu finden, der bereit gewesen wäre, für den im JVEG vorgesehenen Stundensatz zu arbeiten – der Betroffene habe sogar eine Erklärung des Sachverständigen zu dieser Problematik vorgelegt –, erscheinen die in Ansatz gebrachten Kosten nicht unangemessen. Eine "ganz erhebliche Abweichung" hat das AG nicht gesehen.
IV. Bedeutung für die Praxis
Klein, aber fein ist die Entscheidung des AG, zu der Folgendes anzumerken ist.
1. Doppelte Grundgebühr
Zutreffend sind die Ausführungen des AG zur doppelten Grundgebühr nach dem Anwaltswechsel. Es ist zutreffend, dass doppelte Gebühren nur erstattet werden, wenn ein Anwaltswechsel notwendig war. Daran stellt die Rspr. hohe Anforderungen (dazu Burhoff/Volpert/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl., 2021, Teil A Rn 1406 ff. m.w.N.).
2. Private Sachverständigenkosten
Auch die Begründung des AG zur Höhe der geltend gemachten Aufwendungen ist zutreffend.
a) Insoweit ist allerdings anzumerken, dass die Ausführungen des AG in Zusammenhang mit der zitierten Entscheidung des LG Konstanz m.E. mit der Höhe der Erstattung für einen privaten Sachverständigen nichts zu tun haben. Die angesprochen Fragen sind vielmehr in Zusammenhang mit der Frage nach dem Grunde der Erstattung zu stellen und zu beantworten. Sie gehen offenbar zurück auf die Rspr. der (Ober-)Gerichte, wonach die Aufwendungen für ein privates Sachverständigengutachten nur erstattungsfähig sind, wenn die Beweisaufnahme durch entsprechende Beweisanträge beim Gericht "vorbereitet" worden ist. Ob das zutreffend ist, soll hier dahin gestellt bleiben (wegen der Einzelheiten und weiterer Rspr. Burhoff, AGS 2023, 193), da das AG auf diese – unzutreffende – Ansicht nicht abgestellt hat (vgl. auch noch Burhoff/Volpert/Burhoff/Volpert, a.a.O., Teil A Rn 1432 ff.).
b) Die Ausführungen des AG sind i.Ü. aber nicht zu beanstanden. Hinsichtlich der Frage der angemessenen Höhe der Kosten für einen Privatgutachter werden von der Rspr. die Sätze des JVEG nicht unmittelbar herangezogen, da das JVEG lediglich das dem gerichtlichen Sachverständigen zustehende Honorar regelt. Auch eine entsprechende Anwendung kommt nicht in Betracht, weil nicht davon ausgegangen werden kann, dass es einer Partei in der Regel möglich ...