Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Gewährung von Beratungshilfe für ein sozialrechtliches Widerspruchsverfahren.

I. Für die Einlegung eines Widerspruchs gegen die Ablehnung ihres Antrags auf eine Erwerbsminderungsrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung beantragte die Beschwerdeführerin beim AG einen Berechtigungsschein für eine anwaltliche Beratung nach dem BerHG. Der Rechtspfleger beim AG wies die Beschwerdeführerin mündlich darauf hin, dass sie schriftlich oder zur Niederschrift Widerspruch bei der Rentenversicherung einlegen oder sich an die im Bescheid genannte Auskunfts- und Beratungsstelle der Rentenversicherung wenden könne. Er stellte weder einen Berechtigungsschein aus, noch beschied er den Antrag förmlich.

Noch am selben Tag legte die Beschwerdeführerin "Erinnerung, hilfsweise Beschwerde" beim AG ein, mit der sie konkret darlegte, aus welchen Gründen sie Widerspruch erheben wolle und aufgrund welcher Erkrankungen sie nicht in der Lage sei, das Widerspruchsverfahren ohne anwaltlichen Beistand zu betreiben. Die Richterin beim AG wies die Erinnerung zurück. Beratungshilfe sei nicht abgelehnt, sondern durch die Hinweise des Rechtspflegers gewährt worden. Die Sache sei damit gem. § 3 Abs. 2 BerHG erledigt. Eine Bescheidung einer Ablehnung komme daher nicht in Betracht.

Die Beschwerdeführerin richtete daraufhin einen als "Beschwerde" überschriebenen Schriftsatz an das AG, in dem sie ausdrücklich eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör durch die Verweigerung von Beratungshilfe rügte. Das AG half dem Rechtsbehelf nicht ab, weil es ihn für unzulässig hielt, und legte ihn dem LG vor, das im Hinblick auf die laufende Verfassungsbeschwerde bis heute nicht entschieden hat.

Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 103 Abs. 1 GG und aus Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 und 3 GG sowie einen Verstoß gegen die Rechtsweggarantie. Im Übrigen erschwere die Praxis des AG, die Beratungshilfe mündlich zu verweigern statt eine schriftliche Ablehnung zu erlassen, die weitere Rechtsverfolgung und verstoße deswegen gegen das Gebot effektiven Rechtsschutzes. Diese Vorgehensweise sei willkürlich und verletze Art. 103 Abs. 1 GG.

Das Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen hat zum Verfahren Stellung genommen.

II. Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung des Grundrechts der Beschwerdeführerin aus Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 19 Abs. 4 GG angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchst. b) BVerfGG). Auch die weiteren Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 S. 1 BVerfGG liegen vor. Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgebliche verfassungsrechtliche Frage, welche Anforderungen das Gebot der Rechtsschutzgleichheit an die Gewährung von Beratungshilfe für den außergerichtlichen Rechtsschutz stellt, ist durch das BVerfG bereits entschieden (vgl. BVerfGE 122, 39 <48 ff.>).

Die Verfassungsbeschwerde ist danach offensichtlich begründet.

1. Der Beschluss verstößt gegen das Gebot der Rechtsschutzgleichheit.

a) Die Auslegung und Anwendung des BerHG obliegt in erster Linie den zuständigen Fachgerichten. Das BVerfG kann hier nur dann eingreifen, wenn Verfassungsrecht verletzt ist, insbesondere wenn die angegriffenen Entscheidungen Fehler erkennen lassen, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung der in Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG verbürgten Rechtswahrnehmungsgleichheit, die auch im außergerichtlichen Bereich Geltung beansprucht (vgl. BVerfGE 122, 39 <50>; BVerfGK 15, 585 <586>; BVerfG, Beschl. der 3. Kammer des Ersten Senats v. 12.6.2007 – 1 BvR 1014/07, NJW-RR 2007, 1369), beruhen. Die Fachgerichte überschreiten den Entscheidungsspielraum, der ihnen bei der Auslegung der Bestimmungen des BerHG zukommt, jenseits der Willkürgrenze erst dann, wenn sie einen Auslegungsmaßstab verwenden, durch den einer unbemittelten Partei im Vergleich zur bemittelten die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung unverhältnismäßig erschwert wird (vgl. BVerfGE 81, 347 <358>).

b) Das GG verbürgt in Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 und 3 GG – für den Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt mit Art. 19 Abs. 4 GG – den Anspruch auf grundsätzlich gleiche Chancen von Bemittelten und Unbemittelten bei der Durchsetzung ihrer Rechte auch im außergerichtlichen Bereich, somit auch im Hinblick auf die Beratungshilfe nach dem BerHG (vgl. BVerfGE 122, 39 <48 ff.>). Dabei müssen Unbemittelte nur solchen Bemittelten gleichgestellt werden, die bei ihrer Entscheidung für die Inanspruchnahme von Rechtsrat auch die hierdurch entstehenden Kosten berücksichtigen und vernünftig abwägen (vgl. BVerfGE 81, 347 <357>; 122, 39 <51>) und insbesondere prüfen, inwieweit sie fremde Hilfe zur effektiven Ausübung ihrer Verfahrensrechte brauchen oder diese selbst geltend machen können (vgl. BVerfG, Beschl. der 3. Kammer des Ersten Senats v. 27.6.2014 – 1 BvR 256/14, 1 BvR 260/14, 1 BvR 269/14, 1 BvR 301/14, 1...

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