RVG VV Anm. Abs. 1 Nr. 1 zu Nr. 3104
Leitsatz
Das Entstehen einer fiktiven Terminsgebühr nach Anm. Abs. 1 Nr. 1 zu Nr. 3104 VV bei Entscheidung ohne mündliche Verhandlung setzt im PKH-Verfahren nicht voraus, dass der das Verfahren führende Prozessbevollmächtigte nicht bloß vor sondern auch nach Bewilligung von Prozesskostenhilfe eine aktiv verfahrensfördernde Tätigkeit entfaltet hat.
OVG Lüneburg, Beschl. v. 30.7.2019 – 2 OA 819/18
1 Sachverhalt
Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Prozessbevollmächtigten des Klägers trotz Entscheidung des Gerichts ohne mündliche Verhandlung eine Terminsgebühr zusteht.
Der Kläger erhob – vertreten durch seinen Prozessbevollmächtigten – Klage auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, beantragte zugleich die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) und erklärte sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden. Das VG bewilligte die beantragte PKH, wies die Klage aber ohne mündliche Verhandlung durch Urteil ab.
Mit Vergütungsfestsetzungsantrag beantragte der Prozessbevollmächtigte des Klägers u.a. die Festsetzung einer 1,2-Terminsgebühr nach Nr. 3104 VV. Dieses Begehren lehnte die Urkundsbeamtin ab. Zur Begründung verwies sie darauf, dass der Prozessbevollmächtigte des Klägers in der Zeit von der Bewilligung von PKH mit Wirkung bis zur Entscheidung durch Urteil keine verfahrensfördernde Tätigkeit entfaltet habe. Das aber sei Voraussetzung für das Entstehen der Terminsgebühr.
Auf die Erinnerung des Prozessbevollmächtigten des Klägers änderte das VG den Beschluss der Urkundsbeamtin und setzte die begehrte Terminsgebühr zu seinen Gunsten fest. Zur Begründung führte das Gericht aus, dem Gesetz sei das Erfordernis eines Tätigwerdens zur Förderung der Angelegenheit nicht zu entnehmen. Das Gesetz verlange lediglich das Einverständnis der Beteiligten. I.Ü. habe der Prozessbevollmächtigte des Klägers seine mit der Klageschrift abgegebenen Erklärungen im späteren Verfahren zumindest konkludent aufrechterhalten. Das reiche aus.
Dagegen wendet sich die Landeskasse mit ihrer Beschwerde. Sie betont, dass für den Vergütungsantrag nur die nach Bewilligung der PKH entfaltete Tätigkeit zu berücksichtigen sei. Eine solche Tätigkeit gebe es nicht. Die (konkludente) Aufrechterhaltung einer vorangegangenen Erklärung reiche nicht aus.
2 Aus den Gründen
Die Beschwerde, über die gem. § 56 Abs. 2 S. 1 i.V.m. § 33 Abs. 8 S. 1 RVG der Einzelrichter entscheidet, bleibt ohne Erfolg. Dabei kann offenbleiben, ob die Beschwerde aufgrund der Regelung des § 80 AsylG unzulässig ist (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 27.2.2019 – 13 E 939/18.A; VGH Baden Württemberg, Beschl. v. 28.2.2017 – A 2 S 271/17 [= AGS 2017, 346]) oder aber der Sonderregelung des § 1 Abs. 3 RVG unterfällt (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 26.7.2016 – OVG 3 K 40.16 [= AGS 2016, 534]). Sie ist jedenfalls unbegründet.
Grundlage des Anspruchs des Prozessbevollmächtigten des Klägers auf die begehrte Terminsgebühr ist Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV).
Nach Abs. 3 der Vorbem. 3 VV entsteht die Terminsgebühr sowohl für die Wahrnehmung von gerichtlichen Terminen als auch für die Wahrnehmung von außergerichtlichen Terminen und Besprechungen. Darüber hinaus regelt das Vergütungsverzeichnis Ausnahmetatbestände, in denen eine – fiktive – Terminsgebühr auch ohne die Wahrnehmung eines Termins gezahlt wird. Die Reichweite dieser Ausnahmetatbestände ist durch Auslegung zu ermitteln. Dabei kommt neben dem Wortlaut dem Sinn und Zweck der Ausnahme eine besondere Bedeutung zu.
Zu diesen Ausnahmetatbeständen gehört Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV. Danach entsteht die Terminsgebühr auch dann, wenn in einem Verfahren, für das mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, im Einverständnis mit den Parteien oder Beteiligten oder gem. § 307 oder § 495a ZPO ohne mündliche Verhandlung entschieden oder in einem solchen Verfahren ein schriftlicher Vergleich geschlossen wird. Das ist hier der Fall. Soweit der die Beschwerde führende C. darüber hinaus verlangt, dass der Prozessbevollmächtigte gerade nach der Bewilligung von PKH eine aktiv verfahrensfördernde Tätigkeit entfaltet haben müsse, ist dieser Überlegung nicht zu folgen. Weder enthält der Wortlaut einen dahingehenden Anhaltspunkt, noch erfordert der Sinn und Zweck der Vorschrift eine derartige einschränkende Auslegung.
Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV soll ebenso wie die übrigen Nummern des Absatzes verhindern, dass für den Anwalt ein gebührenrechtlicher Anreiz entsteht, auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu bestehen. Vielmehr soll der Rechtsanwalt die Entscheidung, ob auf eine mündliche Verhandlung verzichtet werden kann, ohne Rücksicht auf finanzielle Erwägungen allein nach verfahrensbezogenen Gesichtspunkten treffen. Dies soll der Verfahrensbeschleunigung und zugleich der Entlastung der Gerichte dienen. Die Vorschrift honoriert daher – anders als die Verfahrensgebühr und die Terminsgebühr in ihrer Grundform – nicht eine konkrete verfahrensfördernde Handlung, sondern fingiert das Entstehen der Gebühr für die Wahrnehmung eines Termins au...