ZPO § 91 Abs. 1 S. 1; RVG VV Nr. 1008
Leitsatz
- Die der beklagten Partei durch die Einreichung einer Anwaltsbestellung nach Klagerücknahme entstandenen Kosten sind erstattungsfähig i.S.d. § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO, wenn sie sich bei der Einreichung in nicht vorwerfbarer Unkenntnis von der Rücknahme der Klage befunden hat (im Anschluss an BGH, Beschl. v. 7.2.2018 – XII ZB 112/17, NJW 2018, 1403 [= AGS 2018, 251]; Beschl. v. 18.12.2018 – VI ZB 2/18, NJW-RR 2019, 381 [= AGS 2019, 198]).
- Vertritt der Rechtsanwalt in derselben Angelegenheit mehrere Personen und berechnet sich seine Vergütung nach Wertgebühren, erfolgt die Deckelung der Erhöhung durch eine Begrenzung auf einen Gebührensatz von 2,0; dass die Erhöhung das Doppelte der Ausgangsgebühr übersteigt, ist unschädlich.
BGH, Beschl. v. 23.5.2019 – V ZB 196/17
1 Sachverhalt
Die Parteien bilden eine Wohnungseigentümergemeinschaft. Der Kläger reichte am 3.6.2016 bei dem AG eine Beschlussanfechtungsklage gegen die übrigen Wohnungseigentümer ein. Mit am 8.7.2016 bei dem AG eingegangenem Schriftsatz nahm er die Klage zurück. Nachdem am 9.7.2016 dem Verwalter der Wohnungseigentümergemeinschaft die Klage nebst Terminsverfügung zugestellt worden war, bestellte sich mit Schriftsatz v. 11.7.2016, eingegangen bei dem AG am 13.7.2016, für die Beklagten deren Prozessbevollmächtigte. Am 14.7.2016 wurde dem Verwalter der Klagerücknahmeschriftsatz zugestellt. Mit Beschl. v. 2.8.2016 wurden die Kosten des Rechtsstreits dem Kläger auferlegt.
Auf Antrag der Beklagten hat das AG die von dem Kläger an die Beklagten zu erstattenden Kosten auf 1.033,40 EUR nebst Zinsen festgesetzt. Hierin enthalten sind eine 0,8-Verfahrensgebühr gem. Nrn. 3100, 3101 VV und eine 2,0-Erhöhungsgebühr nach Nr. 1008 VV. Die von dem Kläger hiergegen eingelegte sofortige Beschwerde hat das LG zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde erstrebt der Kläger die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und die Zurückweisung des Kostenfestsetzungsantrags der Beklagten.
II. Das Beschwerdegericht ist der Auffassung, dass die von dem AG festgesetzten Kosten erstattungsfähig seien. Notwendig i.S.d. § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO seien die Kosten für solche Maßnahmen, die im Zeitpunkt ihrer Vornahme objektiv erforderlich und geeignet zur Rechtsverteidigung erschienen. Das sei vom Standpunkt einer verständigen und wirtschaftlich vernünftigen Partei aus zu beurteilen, wobei grds. auf den Zeitpunkt der Vornahme der kostenverursachenden Handlung abzustellen sei. Dass die Beauftragung der Beklagtenvertreterin am 11.7.2016 und damit nach Eingang der Klagerücknahme bei Gericht erfolgt sei, stehe der Erstattungsfähigkeit der hierdurch entstandenen Kosten nicht entgegen. Entgegen der Auffassung des III. Zivilsenats des BGH in dem Beschl. v. 25.2.2016 (III ZB 66/15, BGHZ 209, 120 Rn 10 [= AGS 2016, 252]) sei die Notwendigkeit der Kostenverursachung nicht rein objektiv zu bestimmen. Nur wenn die Beklagtenseite Kenntnis von der Rücknahme gehabt habe, sei die Beauftragung eines Anwalts für eine wirtschaftlich vernünftig denkende Partei objektiv nicht mehr erforderlich.
2 Aus den Gründen
III. Die statthafte und auch i.Ü. zulässige Rechtsbeschwerde (§ 574 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, § 575 ZPO) ist nicht begründet. Das Beschwerdegericht bejaht die Erstattungsfähigkeit der dem Beklagten zuerkannten 0,8-Verfahrensgebühr nach Nrn. 3100, 3101 VV sowie der 2,0-Erhöhungsgebühr nach Nr. 1008 VV zu Recht.
1. Die seitens der Prozessbevollmächtigten der Beklagten erbrachte anwaltliche Tätigkeit war trotz der zuvor erfolgten Klagerücknahme notwendig i.S.d. § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO.
a) Nach der Rspr. des XII. und des VI. Zivilsenats des BGH (Beschl. v. 7.2.2018 – XII ZB 112/17, NJW 2018, 1403 Rn 24 [= AGS 2018, 251]; s.a. bereits Beschl. v. 25.1.2017 – XII ZB 447/16, FamRZ 2017, 365 Rn 22 zu § 80 FamFG [= AGS 2017, 248]; Beschl. v. 10.4.2018 – VI ZB 70/16, VersR 2018, 1469 Rn 10), die der Senat für überzeugend hält, ist Maßstab für die Notwendigkeit von Kosten zur Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung i.S.d. § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO, ob eine verständige und wirtschaftlich vernünftig denkende Partei die Kosten auslösende Maßnahme im damaligen Zeitpunkt als sachdienlich ansehen durfte. Abzustellen ist mithin auf die Sicht der Partei in der konkreten prozessualen Situation und dann zu beurteilen, ob ein objektiver Betrachter aus diesem Blickwinkel die Sachdienlichkeit bejahen würde. Die Notwendigkeit bestimmt sich daher aus der "verobjektivierten" ex ante-Sicht der jeweiligen Prozesspartei und nicht nach einem rein objektiven Maßstab (BGH, Beschl. v. 7.2.2018 – XII ZB 112/17, NJW 2018, 1403 Rn 24 [= AGS 2018, 251]). Deshalb sind Kosten, die der Rechtsmittelgegner in nicht vorwerfbarer Unkenntnis von der Rücknahme des Rechtsmittels verursacht hat und als sachdienlich ansehen durfte, notwendig i.S.d. § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO (BGH, Beschl. v. 7.2.2018 – XII ZB 112/17, NJW 2018, 1403 Rn 25 ff. [= AGS 2018, 251]; Beschl. v. 10.4.2018 – VI ZB 70/16, VersR 2018, 1469 Rn 10).
Aus der Rspr. des III. Zivilsenats des BGH ergib...