RVG §§ 15a Abs. 2, 60 Abs. 1; RVG VV Vorbem. 3 Abs. 4, Nrn. 2300, 3100
Leitsatz
- Die (auch) die Berücksichtigung der Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr im Kostenfestsetzungsverfahren regelnde Bestimmung des § 15a Abs. 2 RVG ist ab dem Zeitpunkt ihres Inkrafttretens am 5.8.2009 anzuwenden.
- Die Übergangsvorschrift des § 60 Abs. 1 S. 1 RVG, nach der es auf den Zeitpunkt der Erteilung des unbedingten Auftrages oder auf die Bestellung oder Beiordnung des Rechtsanwalts ankommt, ist für die Anwendung des § 15a Abs. 2 RVG nicht einschlägig.
- Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
LG Berlin, Beschl. v. 5.8.2009–82 T 453/09
1 Sachverhalt
Die Parteien streiten darüber, ob die Anrechnung einer vorgerichtlich entstandenen Geschäftsgebühr im Kostenfestfestsetzungsverfahren zu berücksichtigen ist.
Der überwiegend obsiegende und erstattungsberechtigte Kläger hatte im Kostenfestsetzungsverfahren die volle Verfahrensgebühr (Nr. 3100 VV) angemeldet. Der erstattungspflichtige Beklagte wandte ein, auf Seiten des Klägers sei vorgerichtlich eine Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV angefallen. Diese müsse nach der Rspr. des BGH hälftig angerechnet werden, so dass nur noch der verbleibende Restbetrag der Verfahrensgebühr festgesetzt werden dürfe. Dabei berief der Beklagte sich auf die std. Rspr. des BGH, ausgehend von dem Beschl. des VIII. Senats v. 22.1.2008 (AGS 2008, 158 = RVGreport 2008, 148 = zfs 2008 m. Anm. Hansens = NJW 2008, 1323).
Das AG hatte die Verfahrensgebühr ungeachtet dessen in voller Höhe festgesetzt. Die hiergegen erhobene Beschwerde hatte keinen Erfolg.
2 Aus den Gründen
Die zulässige, insbesondere rechtzeitig eingelegte sofortige Beschwerde hat keinen Erfolg. Zwar kann sich die Beklagte auf die ständige Rspr. des BGH, ausgehend von der Entscheidung des VIII. ZS des BGH in seinem Beschl. v. 22.1.2008, NJW 2008, 1323 = zfs 2008, 288 mit Anm. Hansens = AGS 2008, 158 = RVGreport 2008, 148 berufen. Danach ist die Anrechnung der Geschäftsgebühr im Kostenfestsetzungsverfahren unabhängig davon zu berücksichtigen, ob die Geschäftsgebühr nach materiellem Recht vom Prozessgegner zu erstatten ist und ob sie unstreitig geltend gemacht, tituliert oder bereits beglichen ist. Diese Auffassung ist jedoch weder mit dem Wortlaut des RVG vereinbar, noch beachtet sie die Grundsätze des Erstattungsrechts. Ferner ist die Rspr. des BGH im Hinblick auf die Neuregelung in § 15a Abs. 2 RVG nicht mehr anzuwenden.
1. Der VIII. ZS des BGH hat in seinem Beschl. v. 22.1.2008 ausgeführt, dass "die Verfahrensgebühr wegen der in Vorbem. 3 Abs. 4 VV vorgesehene Anrechnung eines Teils der bereits vorher entstandenen Geschäftsgebühr nach Nr. 2400 VV (a.F.) von vornherein nur in gekürzter Höhe" entstehe, so dass "im Rahmen der Kostenfestsetzung auch keine darüber hinausgehende Erstattung in Betracht" komme. Einige Zeilen später ist von einer "von selbst einsetzenden Kürzung" die Rede. Für diese Auffassung findet sich im RVG für die hier nach dem Gegenstandswert abzurechnenden Gebühren keine Stütze. Lediglich in Nr. 3103 VV ist für die Tätigkeit in sozialgerichtlichen Angelegenheiten geregelt, dass sich die als Betragsrahmengebühr ausgestaltete Verfahrensgebühr bei einer vorangegangenen Tätigkeit des Prozessbevollmächtigten im Verwaltungsverfahren oder im Nachprüfungsverfahren nach einem niedrigeren Gebührenrahmen bestimmt. Hingegen findet sich bei den Gebührenregelungen für die nach dem Gegenstandswert zu berechnenden Gebühren keine dem vergleichbare Bestimmung. Vielmehr ist in Nr. 3100 VV geregelt, dass die Verfahrensgebühr mit einem Satz von 1,3 entsteht, während in Nr. 3101 VV diejenigen Fälle aufgeführt sind, in denen die Verfahrensgebühr nur mit einem Satz von 0,8 anfällt. Der Fall der Anrechnung der Geschäftsgebühr ist hier nicht geregelt.
Im Übrigen wäre die Anrechnungsbestimmung der Vorbem. 3 Abs. 4 VV überflüssig, wenn bei vorangegangener vorgerichtlicher Vertretungstätigkeit des Prozessbevollmächtigten die Verfahrensgebühr "von vornherein nur in gekürzter Höhe" entstehen würde. Außerdem führt die Rspr. des BGH zu nicht überwindbaren Schwierigkeiten in dem in der Praxis nicht seltenen Fall, dass der Prozessbevollmächtigte seinem Auftraggeber für die vorgerichtliche Vertretungstätigkeit keine Geschäftsgebühr berechnet und somit auch von dem ihm gem. § 14 Abs. 1 RVG eingeräumten Recht zur Bestimmung der als Rahmengebühr ausgestalteten Geschäftsgebühr keinen Gebrauch macht. In diesem Fall entsteht nach Auffassung des BGH die Verfahrensgebühr von vornherein in gekürzter Höhe, ohne dass mangels Berechnung der Geschäftsgebühr durch den Anwalt ersichtlich wäre, in welcher Höhe dann die Verfahrensgebühr anfällt. In anderen Fällen, siehe die Entscheidung des OLG Koblenz RVGreport 2009, 229, führt die Rspr. des BGH dazu, dass der Rechtspfleger im Kostenfestsetzungsverfahren überprüfen soll, ob der Prozessbevollmächtigte für seine vorgerichtliche Vertretungstätigkeit nicht eine zu niedrige Geschäftsgebühr bestimmt hat. Ist dies nach Meinung des Rechtspflegers der Fall, so soll er na...