Ab wann gilt der neue § 15a RVG?
Der neue § 15a RVG ist gerade einmal zehn Tage in Kraft (verkündet am 4.8.2009 – in Kraft getreten am 5.8.2009), schon ist ein Streit entbrannt, ab wann die neuen Regelungen anzuwenden sind. Bereits fünf Gerichte haben sich mit dieser Frage befasst und sind zu drei verschiedenen Auffassungen gelangt.
Die erste Entscheidung ist noch vor Inkrafttreten des Gesetzes ergangen (26.5.2009) und stammt vom AG Wesel. Das AG Wesel (Rechtspfleger) ist der Auffassung, aus der Begründung des Gesetzgebers zum neuen § 15a RVG folge, dass die bisherige Auslegung des Gesetzes durch den BGH falsch sei und schon immer dem Willen des Gesetzgebers widersprochen habe. Da dieser Wille nunmehr in der Begründung zu § 15a RVG klar zum Ausdruck gekommen sei, könne auf die bisherige gegenteilige Rechtsprechung des BGH nicht mehr abgestellt werden. Die Instanzgerichte seien an diese nunmehr erwiesenermaßen fehlerhafte Rspr. des BGH nicht mehr gebunden. Soweit ersichtlich, ist der Beschluss des AG Wesel rechtskräftig geworden.
Das LAG Hessen (7.7.2009) hat dagegen entschieden, dass für die Neuregelung die Vorschrift des § 60 RVG gelte. Es komme also auf die Auftragserteilung an.
Zutreffender dürfte dagegen aber die Auffassung des LG Berlin vom 5.8.2009 sein. Danach ist die Neuregelung des § 15a RVG, jedenfalls die des Abs. 2, sofort anzuwenden. Im Gegensatz zu der Übergangsregelung des § 61 RVG für die Frage des Übergangs BRAGO/RVG gilt die Übergangsvorschrift des § 60 RVG nämlich nicht für alle gesetzlichen Regelungen, sondern nur für solche, die die Gebührenberechnung betreffen. Bei der Frage, inwieweit die Anrechnung der Geschäftsgebühr im Kostenfestsetzungsverfahren zu berücksichtigen ist, handelt es sich jedoch nicht um eine Frage der Gebühren, sondern um eine Frage der Kostenerstattung. Da es hierfür keine gesonderte Übergangsregelung gibt, gilt das Gesetz folglich mit seinem Inkrafttreten.
Das LG Berlin kommt daher zu dem Ergebnis, dass auch in "Altfällen" die nach dem 4.8.2009 entschieden werden, bereits neues Recht anzuwenden ist. Gleichzeitig nutzt das LG Berlin eine Entscheidung auch noch einmal, um dem BGH die Fehlerhaftigkeit und Unsinnigkeit seiner Rechtsprechung vor Augen zu halten. Eine lesenswerte Entscheidung.
Das OLG Stuttgart (11.8.2009) liegt wiederum auf der Argumentationsschiene des AG Wesel. Das OLG Stuttgart weist ebenfalls zu Recht darauf hin, dass der Gesetzgeber hier gar nicht eine neue Rechtslage herbeiführen wollte, sondern dass die Rechtslage, wie er sie jetzt mit dem neuen § 15a RVG klarstellt, nach seiner Auffassung schon immer gegolten habe und von ihm auch schon immer gewollt sei. Damit liege also jetzt eine für die Auslegung heranzuziehende Erkenntnisquelle vor, die der fehlerhaften Argumentation des BGH nunmehr endgültig den Boden entziehe, so dass eine Bindungswirkung an die Rechtsprechung des BGH nicht mehr bestehe.
Dieser Auffassung ist am 20.8.2009 dann auch das OLG Düsseldorf gefolgt, das die Begründung des OLG Stuttgart nahezu wörtlich übernommen hat.
Da die Frage grundsätzliche Bedeutung hat, haben LG Berlin und OLG Stuttgart die Rechtsbeschwerde zugelassen. Es ist zu hoffen, dass der BGH die Sache alsbald vorgelegt bekommt und dass er diesmal die Größe hat, über seinen eigenen Schatten zu springen und mit dem von ihm angerichteten Unsinn endlich Schluss zu machen.
In Anbetracht der erfreulichen bisherigen Rechtsprechung kann der Praxis daher nur empfohlen werden, ab sofort unter Hinweis auf AG Wesel, LG Berlin, OLG Stuttgart und OLG Düsseldorf die Verfahrensgebühr ungekürzt anzumelden und sich nicht mehr auf eine Anrechnung der Geschäftsgebühr einzulassen. Wenn der Rechtspfleger die Anrechnung weiterhin vornimmt, sollte der Anwalt Erinnerung oder sofortige Beschwerde einlegen. Wie die vorgenannten Entscheidungen zeigen, stehen die Erfolgsaussichten insoweit gar nicht schlecht. Gegebenenfalls kann die Aussetzung der Festsetzungsverfahren bis zur Entscheidung des BGH beantragt werden.
Offen bleibt jetzt noch, ob in Altfällen auch noch nachliquidiert werden kann, wenn über die Anrechnung noch nicht bestandskräftig entschieden worden ist, wenn also von Vornherein nur die gekürzte Verfahrensgebühr angemeldet war.
Norbert Schneider