Nr. 2300, Vorbem. 3 Abs. 4 S. 1 VV RVG, § 15a Abs. 3 RVG
Leitsatz
- Ein vereinbartes Honorar ist keine Geschäftsgebühr i.S.v. Nrn. 2300 ff. VV. Deshalb scheidet im Falle einer wirksamen Honorarvereinbarung die Anrechnung einer (fiktiven) Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr nach Vorbem. 3 Abs. 4 S. 1 VV aus.
- Bei Beendigung des Rechtsstreits durch Vergleich kommt nach Treu und Glauben eine Anrechnung des vereinbarten Honorars in Höhe einer fiktiven Geschäftsgebühr ausnahmsweise dann in Betracht, wenn die Parteien eine einvernehmliche Kostenregelung auf der Grundlage getroffen haben, dass außerprozessual eine anrechenbare Geschäftsgebühr angefallen und keine Honorarvereinbarung getroffen worden sei.
OLG Hamburg, Beschl. v. 23.11.2023 – 4 W 106/23
I. Sachverhalt
In dem vor dem LG Hamburg geführten Rechtsstreit hatten die Parteien einen außergerichtlichen Vergleich mit Kostenübernahmeerklärung der Beklagten geschlossen und den Rechtsstreit im Hinblick hierauf übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt. Das LG Hamburg hat in seinem Kostenbeschluss dementsprechend die Kosten des Rechtsstreits den Beklagten auferlegt. Im Kostenfestsetzungsverfahren hat der Rechtspfleger des LG Hamburg antragsgemäß – soweit hier von Interesse – eine 1,3-Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV festgesetzt. Eine Geschäftsgebühr hat der Rechtspfleger hierbei nicht anteilig auf die Verfahrensgebühr angerechnet. Diese Anrechnung ist deshalb unterblieben, weil die Klägerin geltend gemacht hat, für die vorgerichtliche Tätigkeit ihres Prozessbevollmächtigten sei ein Zeithonorar vereinbart worden. In vorgerichtlichen Schreiben und in der Klageschrift hatte die Klägerin ihre Erstattungsansprüche hinsichtlich ihrer außergerichtlichen Kosten auf der Basis der gesetzlichen Gebühren nach dem RVG berechnet, ohne dass dabei der Begriff der Geschäftsgebühr genannt wurde.
Mit ihren gegen diesen Kostenfestsetzungsbeschluss gerichteten sofortigen Beschwerden haben die Beklagten zu 1 bis 3 und zu 4 und 5 geltend gemacht, auf die Verfahrensgebühr des Prozessbevollmächtigten der Klägerin sei anteilig eine (fiktive) Geschäftsgebühr anzurechnen, sodass sich der Erstattungsanspruch entsprechend verringere. Das OLG Hamburg hat die sofortigen Beschwerden zurückgewiesen.
II. Anrechnung der Geschäftsgebühr
1. Gesetzliche Regelung
Soweit wegen desselben Gegenstands eine Geschäftsgebühr nach Teil 2 VV entsteht, wird diese Gebühr gem. Vorbem. 3 Abs. 4 S. 1 VV zur Hälfte, höchstens mit einem Gebührensatz von 0,75 auf die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens angerechnet. Gem. § 15a Abs. 3 RVG kann sich ein Dritter auf diese Anrechnung nur berufen, soweit er den Anspruch auf eine der beiden Gebühren erfüllt hat, wegen einer dieser Ansprüche gegen ihn ein Vollstreckungstitel besteht oder beide Gebühren in demselben Verfahren gegen ihn geltend gemacht werden.
Diese Voraussetzungen für die Berücksichtigung einer teilweisen Anrechnung der vorprozessual entstandenen Geschäftsgebühr auf die für die gerichtliche Tätigkeit des Prozessbevollmächtigten der Klägerin angefallene Verfahrensgebühr lagen hier nicht vor. Dies scheiterte nach Auffassung des OLG Hamburg schon deshalb, weil im Innenverhältnis eine teilweise Anrechnung auf die Verfahrensgebühr nicht in Betracht kam.
2. Keine Anrechnung einer vereinbarten Vergütung
Nach Auffassung des OLG Hamburg kommt eine Anrechnung auf die Verfahrensgebühr nach Teil 3 Vorbem. 3 Abs. 4 S. 1 VV nicht in Betracht, wenn im Verhältnis zwischen der erstattungsberechtigten Partei und ihrem Prozessbevollmächtigten keine Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV entstanden ist. Ein solcher Fall hatte hier vorgelegen, da die Klägerin mit ihrem Prozessbevollmächtigten für deren vorprozessuale Tätigkeit eine Zeithonorarvereinbarung getroffen hat. Das OLG Hamburg hat darauf hingewiesen, dass in einem solchen Fall die Rechtsgrundlage der Vergütung für die außergerichtliche Vertretung in der Vergütungsvereinbarung liege und nicht in den Vorschriften des VV. Vorbem. 3 Abs. 4 S. 1 VV gehe jedoch davon aus, dass eine Geschäftsgebühr entstanden sei. Das vereinbarte Honorar für die außergerichtliche Tätigkeit stelle jedoch keine Geschäftsgebühr in diesem Sinne dar. Auch die Anrechnung einer fiktiven Geschäftsgebühr scheide aus (BGH AGS 2015, 147 = RVGreport 2015, 72 [Hansens] = zfs 2015, 105 m. Anm. Hansens; BGH AGS 2009, 523 = RVGreport 2009, 433 [Ders.]; OLG Hamburg AGS 2015, 198 = RVGreport 2015, 150 [Ders.] = zfs 2015, 226 m. Anm. Hansens).
Auch der Umstand, dass die Höhe des für die außergerichtliche Tätigkeit des Prozessbevollmächtigten der Klägerin vereinbarten Zeithonorars zwischen den Parteien streitig war, spielte nach Auffassung des OLG Hamburg für seine Entscheidung keine Rolle. Der Anrechnung nach Vorbem. 3 Abs. 4 S. 1 VV stehe nämlich bereits die Vergütungsvereinbarung als Rechtsgrundlage dieser Honorarforderung entgegen, weil folglich keine anrechenbare Geschäftsgebühr angefallen sei.
3. Ausnahmsweise Anrechnung nach Treu und Glauben
Eine Ausnahme von dem vorstehend erörterten Grundsatz, dass eine ve...