FamFG § 78 Abs. 2
Leitsatz
- Ist eine Vertretung durch einen Rechtsanwalt nicht vorgeschrieben, ist dem Beteiligten im Rahmen der bewilligten Verfahrenskostenhilfe ein Rechtsanwalt beizuordnen, wenn dies wegen der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage erforderlich ist. Entscheidend ist dabei, ob ein bemittelter Rechtssuchender in der Lage des Unbemittelten vernünftigerweise einen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung seiner Interessen beauftragt hätte.
- Die gebotene einzelfallbezogene Prüfung lässt eine Herausbildung von Regeln, nach denen der mittellosen Partei für bestimmte Verfahren immer oder grundsätzlich ein Rechtsanwalt beizuordnen ist, regelmäßig nicht zu. Ein Regel-Ausnahme-Verhältnis ist nach der gebotenen individuellen Bemessung deswegen nicht mit dem Gesetz vereinbar.
- Das Verfahren kann sich für einen Beteiligten auch allein wegen einer schwierigen Sachlage oder allein wegen einer schwierigen Rechtslage so kompliziert darstellen, dass auch ein bemittelter Beteiligter einen Rechtsanwalt hinzuziehen würde. Jeder der genannten Umstände kann also die Beiordnung eines Rechtsanwalts erforderlich machen.
- Die Erforderlichkeit der Beiordnung eines Rechtsanwalts beurteilt sich auch nach den subjektiven Fähigkeiten des betroffenen Beteiligten.
- Auch wenn der Grundsatz der Waffengleichheit kein allein entscheidender Gesichtspunkt für die Beiordnung eines Rechtsanwalts im Rahmen der Verfahrenskostenhilfe mehr ist, kann der Umstand der anwaltlichen Vertretung anderer Beteiligter ein Kriterium für die Erforderlichkeit zur Beiordnung eines Rechtsanwalts wegen der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage sein.
BGH, Beschl. v. 23.6.2010 – XII ZB 232/09
Sachverhalt
Der Beteiligte zu 1) (im Folgenden: Vater) und die Beteiligte zu 2) (im Folgenden: Mutter) sind geschiedene Eheleute. Sie streiten um das Umgangsrecht des Vaters mit ihren im Februar 1999 und Mai 2000 geborenen Kindern
In einem gerichtlichen Vergleich vom 17.4.2009 hatten die Eltern ein Umgangsrecht des Vaters mit den beiden Kindern im zweiwöchigen Turnus – jeweils von freitags 16.00 Uhr bis sonntags 16.00 Uhr – vereinbart. Die Besuchszeiten konnten tagsüber auch in Anwesenheit der Lebensgefährtin des Vaters verbracht werden, während die Übernachtungen ohne die Lebensgefährtin in der Wohnung des Vaters stattfinden sollten. Nach Abschluss des Vergleichs zog der Vater mit seiner Lebensgefährtin zusammen. Er begehrt nunmehr Abänderung des Vergleichs und ein Umgangsrecht, das sich vierzehntägig auf jeweils samstags und sonntags von 10.00 bis 18.00 Uhr erstreckt.
Das AG hat dem Vater ratenfreie Verfahrenskostenhilfe bewilligt, den Antrag auf Beiordnung eines Rechtsanwalts aber abgewiesen. Das OLG hat die Beschwerde des Vaters gegen die Abweisung seines Antrags auf Beiordnung eines Rechtsanwalts zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die vom OLG zugelassene Rechtsbeschwerde des Vaters, die Erfolg hatte.
Aus den Gründen
Die Rechtsbeschwerde ist gem. § 70 Abs. 1 FamFG statthaft, weil das Beschwerdegericht sie wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen hat. Daran ist der Senat gem. § 70 Abs. 2 S. 2 FamFG gebunden. Die Rechtsbeschwerde ist auch im Übrigen zulässig und begründet.
1. In Familiensachen, die weder Ehesachen noch Familienstreitsachen sind (vgl. §§ 112 f. FamFG), ergibt sich ein Anspruch auf Verfahrenskostenhilfe aus den §§ 76 ff. FamFG. § 76 Abs. 1 FamFG ordnet die entsprechende Anwendung der Vorschriften der ZPO über die Prozesskostenhilfe an, soweit in den nachfolgenden Vorschriften nichts Abweichendes bestimmt ist.
a) Die Voraussetzungen der Beiordnung eines Rechtsanwalts im Rahmen einer bewilligten Verfahrenskostenhilfe sind in § 78 FamFG gesondert geregelt. Die Vorschrift unterscheidet ausdrücklich zwischen Verfahren mit Anwaltszwang (§ 78 Abs. 1 FamFG) und Verfahren, in denen eine Vertretung durch einen Rechtsanwalt nicht vorgeschrieben ist (§ 78 Abs. 2 FamFG). Nur wenn die Vertretung durch einen Rechtsanwalt vorgeschrieben ist, wird dem Beteiligten nach § 78 Abs. 1 FamFG stets ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt seiner Wahl beigeordnet. Ist eine Vertretung durch einen Rechtsanwalt hingegen nicht vorgeschrieben, wird dem Beteiligten auf seinen Antrag ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt seiner Wahl nach § 78 Abs. 2 FamFG nur beigeordnet, "wenn wegen der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint". Für die regelmäßig nicht streng kontradiktorisch geprägten Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit hat die Vorschrift die Regelung in § 121 Abs. 2, 2. Alt. ZPO, wonach in Zivisachen die Beiordnung eines Anwalts geboten ist, wenn auch ein anderer Beteiligter anwaltlich vertreten ist, ausdrücklich nicht übernommen (BT-Drucks 16/6308 S. 214).
b) Nach § 114 Abs. 1 FamFG müssen sich die Ehegatten in Ehe- und Folgesachen sowie die Beteiligten in selbstständigen Familienstreitsachen durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen. In den übrigen Familiensachen ist die Vertretung durch einen Rechtsanwalt vor dem FamG und dem OLG nich...