RVG §§ 15, 15 a Abs. 2; RVG VV Nrn. 2300, 3100, 3104, 3105, Vorbem. 3 Abs. 4; ZPO §§ 331 Abs. 3, 344; BRAGO § 38
Leitsatz
- Eine als Nebenforderung zur Hauptsache eingeklagte Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV wird durch einen Prozessvergleich über sämtliche Forderungen nicht tituliert i.S.v. § 15a Abs. 2 RVG, wenn kein bezifferter oder bestimmbarer Einzelbetrag als auf die Geschäftsgebühr entfallend vereinbart ist (Anschluss an OLG Karlsruhe – 13 W 159/09 [= AGS 2010, 209] u. OLG Stuttgart – 8 W 132/10 [= AGS 2010, 212]).
- Nach dem RVG wird die Säumnis einer Partei nicht kostenrechtlich sanktioniert, wenn eine streitige Verhandlung nachfolgt.
OLG Koblenz, Beschl. v. 24.8.2010–14 W 463/10
Sachverhalt
Die Parteien streiten im Kostenfestsetzungsverfahren,
- ob bei Erlass eines Versäumnisurteils im schriftlichen Vorverfahren (§ 331 Abs. 3 ZPO) die spätere Parteivereinbarung, dass die Beklagte die gesamten Kosten der Säumnis trägt, die Überbürdung einer 0,5-Gebühr nach Nr. 3105 VV rechtfertigt, wenn nach der Säumnisentscheidung für eine streitige Verhandlung eine 1,2-Terminsgebühr nach Nr. 3104 VV entstanden ist,
- um die Anrechnung der eingeklagten Geschäftsgebühr bei späterer Prozessbeendigung durch einen Vergleich mit Abgeltungsklausel.
Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Antragsgemäß erging gegen die Beklagte ein Versäumnisurteil im schriftlichen Vorverfahren, das sich auch auf die eingeklagte Geschäftsgebühr von 1.459,90 EUR für die vorprozessuale Vertretung erstreckte. In zweiter Instanz schlossen die Parteien einen Vergleich, dessen Nr. 2 regelt, dass "mit dem Abschluss dieses Vergleichs der Rechtsstreit umfassend und in allen Einzelpunkten endgültig erledigt ist".
Die Kosten des Rechtsstreits übernahm zu 4/5 die Klägerin und zu 1/5 die Beklagte. Ausgeklammert blieben die Kosten der Säumnis; diese übernahm die Beklagte.
Die von der Klägerin zur Ausgleichung angemeldeten Kosten erster Instanz hat der Rechtspfleger wie folgt gekürzt:
a) Die umfassende Belastung der Beklagten mit einer 0,5-Gebühr nach Nr. 3105 VV sei nicht möglich, weil diese Gebühr in der im streitigen Verfahren später entstandenen 1,2-Terminsgebühr nach Nr. 3104 VV aufgegangen sei,
b) die Verfahrensgebühr (Nr. 3100 VV) verringere sich hälftig um 729,95 EUR, weil im Vergleich die Geschäftsgebühr (Nr. 2300 VV) tituliert und damit auf die Verfahrensgebühr anzurechnen sei (Vorbem. 3 Abs. 4 VV).
Dagegen wendet sich die Klägerin mit der sofortigen Beschwerde.
Aus den Gründen
Das zulässige Rechtsmittel ist hinsichtlich der Säumniskosten unbegründet; im Übrigen (Anrechnung der Geschäftsgebühr) hat es Erfolg.
a) Für die Klägerin sind wegen der Säumnis der Beklagten im schriftlichen Vorverfahren keine Mehrkosten angefallen. Auf den fristgemäßen Einspruch der Beklagten gegen das Versäumnisurteil ist beim LG streitig verhandelt worden. Dadurch ist für beide Anwälte eine 1,2-Terminsgebühr nach Nr. 3104 VV entstanden. Nach § 15 Abs. 2 S. 1 RVG kann der Rechtsanwalt die Gebühren in derselben Angelegenheit nur einmal fordern. Dass es sich bei dem Verfahren vor und nach dem Versäumnisurteil um dieselbe Angelegenheit handelt, steht außer Zweifel. Die zunächst angefallene 0,5-Terminsgebühr nach Nr. 3105 VV ist in der höheren Terminsgebühr nach Nr. 3104 VV aufgegangen (vgl. Bischof, RVG, 3. Aufl., Rn 43 zu Nr. 3105 VV und Zöller/Herget, ZPO, 28. Aufl., Rn 2 zu § 344 ZPO). Das erschließt sich auch daraus, dass die früher maßgebliche Bestimmung des § 38 Abs. 2 BRAGO, wonach der Rechtsanwalt unter bestimmten Voraussetzungen die Gebühr für die zum Versäumnisurteil führende Verhandlung gesondert erhielt, nicht in das RVG übernommen worden ist. Nach dem RVG wird die Säumnis einer Partei nicht mehr kostenrechtlich sanktioniert, wenn eine streitige Verhandlung nachfolgt. Der Rechtspfleger hat demnach richtig entschieden.
Die von der sofortigen Beschwerde zitierte Kommentierung bei Gerold/Schmidt besagt nichts Gegenteiliges.
b) Das Rechtsmittel ist begründet, soweit die Klägerin sich gegen die Auffassung des Rechtspflegers wendet, im Vergleich sei die Geschäftsgebühr für die vorprozessuale Anwaltstätigkeit tituliert und daher anzurechnen.
Zutreffend geht das LG allerdings davon aus, dass § 15a Abs. 2 RVG in allen laufenden Verfahren anzuwenden ist. Das hat der Senat bereits entschieden. Auf den in AGS 2009, 420 abgedruckten Beschl. v. 1.9.2009 (14 W 553/09) wird verwiesen.
Nach § 15a Abs. 2 RVG kann sich ein Dritter (hier: die Beklagte) auf die Anrechnung aber nur berufen, soweit er den Anspruch auf eine der beiden Gebühren erfüllt hat, beide Gebühren im selben Verfahren gegen ihn geltend gemacht wurden (beide Varianten scheiden hier aus) oder wegen eines dieser Ansprüche gegen ihn ein Vollstreckungstitel besteht.
Das LG hat einen Vollstreckungstitel darin gesehen, dass unter Nr. 2. des Vergleichs im Berufungsverfahren geregelt ist, durch die Parteivereinbarung sei "der Rechtsstreit umfassend und in allen Einzelpunkten endgültig erledigt".
Das begegnet durchgreifenden Bedenken. Der (vermeintlich titulierte) materiell-...