ZPO § 3
Leitsatz
Tritt der Käufer eines Neuwagens vom Kaufvertrag zurück, kann bei Streit um die Wirksamkeit des Rücktritts als Gegenstandswert nicht der Neuwagenpreis zugrunde gelegt werden. Vielmehr stellt sich bei einem nichterfüllten Kaufvertrag über fabrikneue Massenware lediglich für den Käufer bei einem Abstandnehmen von diesem Vertrag die Frage, welche Forderung seitens des Verkäufers zu befürchten wäre. Diese besteht üblicherweise darin, dass der Verkäufer seinen entgangenen Gewinn als Schadenersatzanspruch geltend macht. Damit gilt als Gegenstandswert die Höhe des vom Verkäufer geltend zu machenden pauschalierten Schadenersatzanspruchs.
AG Hersfeld, Urt. v. 19.3.2010 – 10 C 120/10
1 Sachverhalt
Der Kläger ist bei der Beklagten rechtschutzversichert. Er schloss einen Kaufvertrag über einen Neuwagen zum Gesamtkaufpreis von 9.370,00 EUR. Das Fahrzeug wurde von der Verkäuferin zunächst nicht geliefert, was der Kläger zum Anlass nahm, vom Vertrag zurückzutreten bzw. den Widerruf des Vertrags zu erklären. Die Verkäuferseite wurde daraufhin von den Klägern angeschrieben und mit diesem Schreiben der Widerruf des Vertrags erklärt. Die Verkäuferseite war zwar der Auffassung, dass das Widerrufsrecht abgelaufen sei, stornierte die Bestellung jedoch aus "Kulanzgründen".
Dem Kläger wurde seitens seines Bevollmächtigten aus einem Gegenstandswert von 9.370,00 EUR eine Rechtsanwaltsgebührenrechnung über insgesamt 775,64 EUR ausgestellt. Die Beklagte, die den Deckungsschutz für die außergerichtliche Auseinandersetzung übernommen hatte, zahlte hierauf vorgerichtlich 229,55 EUR.
Der Kläger ist der Auffassung, der Verfahrenswert richte sich nach dem im Liefervertrag festgesetzten Gesamtkaufpreis. So habe der Kläger das wirtschaftliche Interesse gehabt, aus der Gesamtzahlungsverpflichtung in dieser Höhe herauszukommen, so dass der Gesamtkaufpreis als Verfahrenswert zugrunde zu legen sei.
Die Beklagte vertritt die Auffassung, dass beim Widerruf eines bislang nicht erfüllten Kaufvertrags eine Gesamtwürdigung aller Vor- und Nachteile vorzunehmen sei, die aufgrund der Wirksamkeit oder Unwirksamkeit des Vertrags zu erwarten wäre. Dieses wirtschaftliche Interesse läge bei ca. 10 bis 20 Prozent des Kaufpreises. Deshalb seien bei Zugrundelegung eines 20 %igen Betrages der Kaufpreissumme die Gebühren der Prozessbevollmächtigen des Klägers bereits vorgerichtlich erfüllt.
2 Aus den Gründen
Die Klage ist unbegründet. Der Verfahrenswert für die Tätigkeit der Prozessbevollmächtigten des Klägers liegt im vorliegenden Fall bei lediglich 1.405,00 EUR. Zwar hat der Kläger einen Kaufvertrag über eine Gesamtsumme von 9.370,00 EUR abgeschlossen. Dies kann jedoch bei der Frage des Bestehens oder Nichtbestehens, der Frage der Wirksamkeit oder Unwirksamkeit bzw. der Frage eines berechtigten Rücktrittes oder einer berechtigten Kündigungsmöglichkeit nicht als Verfahrenswert zugrunde gelegt werden.
Vielmehr ist bei dem Kaufvertrag das synallagmatische Austauschverhältnis zu berücksichtigen. Die Kaufpreisverpflichtung besteht nicht isoliert, sondern ist stets in ihrer Wechselwirkung zur Verpflichtung des Verkäufers auf Lieferung des Kaufgegenstandes zu sehen. Bei der Frage, welcher wirtschaftlichen Wert bzw. welches wirtschaftliche oder rechtliche Interesse an der Klärung der Frage der Wirksamkeit und Unwirksamkeit eines solchen Kaufvertrages besteht, ist zu berücksichtigen, dass es beim Kauf fabrikneuer Massenprodukte beiden Seiten lediglich um das wirtschaftlichen Verhältnis zwischen Kaufpreis und Gegenleistung geht, da sowohl eine anderweitige Verkaufsgelegenheit als auch eine andere Kaufgelegenheit stets gegeben sein dürften. Das Interesse des Verkäufers richtet sich somit auf den entgangenen Gewinn, das Interesse des Käufers auf eine mögliche Differenz bei einem (teureren) Ersatzkauf. Niemals steht jedoch die Frage des Gesamtwertes des Kaufvertrages im Vordergrund. Ansonsten müssten konsequenterweise sowohl der Wert des Kaufgegenstandes als auch die Kaufpreisforderung addiert werden, um den Verfahrenswert bei einem Kaufvertrag zu treffen und zu ermitteln. Dies entspricht jedoch nicht den wirtschaftlichen Gegebenheiten. Vielmehr stellt sich bei einem nichterfüllten Kaufvertrag über fabrikneue Massenware lediglich für den Käufer bei einem Abstandnehmen von diesem Vertrag die Frage, welche Forderung seitens des Verkäufers zu befürchten wäre. Diese bestehen üblicher Weise darin, dass der Verkäufer seinen entgangenen Gewinn als Schadensersatzanspruch geltend macht. Dies war auch im vorliegenden Fall zu erwarten.
Wie das Gericht bereits im Termin zur mündlichen Verhandlung ausgeführt hat, ergibt sich aus den allgemeinen Geschäftsbedingungen der Verkäuferin, dass für den Fall der Nichtabnahme der Verkäufer Schadensersatz i.H.v. 15 % des Kaufpreises verlangen kann, es sei denn, ein höherer Schaden würde seitens des Verkäufers oder ein niedrigerer durch den Käufer nachgewiesen. Somit war im vorliegenden Fall lediglich die Geltendmachung des pauschalierten Schadensersatzanspruches durch die Verkäufer...