OWiG § 46 Abs. 1 StPO § 464a Abs. 2 Nr. 1, 2 JVEG § 5 ZPO § 91 Abs. 2 S. 1 Hs. 2
Leitsatz
- Dem Betroffenen in einer Bußgeldsache sind die Mehrkosten der An- und/oder Rückreise von oder zu einem anderem als dem in der Ladung angegebenen Ort auch dann zu erstatten, wenn er es unterlässt, dem Gericht die Anreise zum Termin von dem anderen Ort unverzüglich anzuzeigen, sofern davon auszugehen ist, dass das Gericht die Ladung in jedem Fall aufrechterhalten hätte.
- Die durch die Beauftragung eines auswärtigen Rechtsanwalts anfallenden Reisekosten sind nur insoweit erstattungsfähig, als sie die fiktiven Reisekosten eines am Wohnort des Betroffenen ansässigen Rechtsanwalts für eine Fahrt zum Prozessgericht nicht übersteigen.
- Bei einem behördlichen und einem gerichtlichen Ordnungswidrigkeitenverfahren handelt es sich um dieselbe Angelegenheit i.S.v. § 15 Abs. 2 S. 1 RVG, sodass die Auslagenpauschale nach Nr. 7002 VV nur einmal zu erstatten ist.
LG Potsdam, Beschl. v. 22.2.2013 – 24 Qs 177/12
1 Sachverhalt
Das AG Brandenburg an der Havel hatte den Betroffenen, nachdem es einen zunächst anberaumten Hauptverhandlungstermin wegen Verhinderung des Verteidigers hatte verlegen müssen, freigesprochen. Die notwendigen Auslagen des Betroffenen wurden der Staatskasse auferlegt. Zu dem Termin war der Betroffene, was er dem Gericht zuvor nicht mitgeteilt hatte, nicht von seinem Wohnort Berlin, sondern aus Hamburg angereist, wo er beruflich tätig ist.
Nach Freispruch beantragte der Betroffene die Erstattung seiner notwendigen Auslagen in Höhe von 1.006,36 EUR. Zu den bei der Rechtsanwaltsvergütungsberechnung geltend gemachten Positionen gehörten u.a. eine (doppelte) Pauschale für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen (Nr. 7002 VV) in Höhe von 40,00 EUR sowie Reisekosten des Verteidigers (Nr. 7003-7006 VV) in Höhe von 129,80 EUR. Der Berechnung der Reisekosten lagen Fahrtkosten von 94,80 EUR (316 Entfernungskilometer) sowie ein Tagegeld von 35,00 EUR (Dauer 4 bis 8 Stunden) zugrunde. Neben der Rechtsanwaltsvergütung wurde die Erstattung der Reisekosten des Betroffenen in Höhe von 126,00 EUR (Bahnfahrt Hamburg – Brandenburg Hbf und zurück) geltend gemacht.
Das AG setzte die dem Betroffenen aus der Landeskasse zu erstattenden notwendigen Auslagen auf 791,02 EUR fest. Abgesetzt wurde ein Betrag in Höhe von insgesamt 215,34 EUR. Dabei hielt die Rechtspflegerin Anwaltskosten in Höhe von 102,34 EUR für nicht erstattungsfähig, da die Pauschale für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen nur einmal angefallen sei und anwaltliche Reisekosten nur bis zur Höhe der fiktiven Reisekosten eines am Wohn- oder Geschäftsort der Partei ansässigen Rechtsanwalts zum Gerichtsort erstattet werden könnten. Wegen der gegenüber der Anfahrt des auswärtigen Verteidigers kürzeren Entfernung zwischen Wohnort des Betroffenen und Gerichtsort seien die Fahrtkosten und das Abwesenheitsgeld entsprechend zu reduzieren. Weil der an seinem Wohnort in Berlin geladene Betroffene nicht angezeigt habe, dass er von einem anderen Ort anreisen werde, seien auch nur die fiktiven Fahrtkosten von seinem Wohnort in Höhe von 13,00 EUR (Tageskarte im Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg) erstattungsfähig, nicht aber weitere Kosten in Höhe von 113,00 EUR. Hiergegen wendet sich der Betroffene mit der sofortigen Beschwerde.
Zur Begründung trägt er vor, die Pauschale für Post- und Kommunikationsdienstleistungen sei zweimal angefallen, da das Verfahren vor dem AG im weiteren Sinne als eine Art Rechtsmittelinstanz anzusehen sei. Die anwaltlichen Reisekosten seien wegen des langjährigen Mandatsverhältnisses gerechtfertigt. Die Fahrtkosten des Betroffenen seien zu erstatten, da dieser am Terminstag aus beruflichen Gründen zu seinem Arbeitsort Hamburg, von wo aus er angereist sei, habe zurückkehren müssen.
Im Nachgang zu seinem Beschwerdeschreiben hat der Verteidiger Unterlagen vorgelegt, aus denen hervorgeht, dass der Betroffene seit 2011 beruflich in Hamburg tätig ist und in den Nachmittagsstunden des Terminstags seinem Arbeitgeber in Hamburg zur Verfügung stehen musste.
2 Aus den Gründen
In der Sache hat die sofortige Beschwerde nur teilweise Erfolg. Der Betroffene hat entgegen der Auffassung der Rechtspflegerin einen Anspruch auf Fahrtkostenersatz in Höhe von 126,00 EUR. Zur Recht erfolgte hingegen die Absetzung eines Teils der anwaltlichen Reisekosten und des Abwesenheitsgeldes sowie der Hälfte des geltend gemachten Pauschalbetrages für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen.
a) Zu den erstattungsfähigen notwendigen Auslagen des freigesprochenen Betroffenen, die nach der Auslagenentscheidung im amtsgerichtlichen Urteil die Landeskasse zu tragen hat, zählen grundsätzlich die Kosten für die Fahrt des Betroffenen zum Verhandlungstermin und zurück (vgl. OLG Celle, Beschl. v. 14.9.2012 – 1 Ws 360/12; Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl., § 464a, Rn 15 m.w.Nachw.). Wegen der Höhe der Entschädigung findet § 5 JVEG über §§ 46 Abs. 1 OWiG, 464a Abs. 2 Nr. 1 StPO entsprechende Anwendung (OLG Celle a.a.O.; Meyer-Goßner, a.a.O.).
Zwar hat ...