Leitsatz
Erlangen die Beklagten Kenntnis von der Klagrücknahme und informieren sie hierüber nicht zeitnah ihre Prozessbevollmächtigten, können sie nicht die Erstattung einer vollen 1,3-Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV für die Einreichung einer Klagerwiderung nach Eingang der Klagrücknahme beanspruchen. Innerhalb von sechs Tagen nach Absendung der Klagrücknahme an die Beklagten kann eine Information ihrer Prozessbevollmächtigten erwartet werden. Es kann aber eine 0,8-Gebühr nach Nr. 3101 VV erstattungsfähig sein.
OLG Hamburg, Beschl. v. 9.7.2013 – 8 W 62/13
1 Sachverhalt
Die Klägerin hat die Beklagten zu 2) und 3) (nachfolgend: die Beklagten) mit Schriftsatz vom 11.10.2012 – in Änderung einer zunächst gegen einen Beklagten zu 1) gerichteten Klage – als Gesamtschuldner auf Unterlassung beleidigender Telefonanrufe in Anspruch genommen. Diese Klage hat sie mit Schriftsatz vom 29.10.2012 zurückgenommen. Der Schriftsatz ging per Telefax am gleichen Tage beim LG ein. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich noch kein Prozessbevollmächtigter für die Beklagten zur Akte legitimiert. Das LG hat mit Beschl. v. 30.10.2012 die Kosten des Rechtsstreits der Klägerin auferlegt und die Absendung des Beschlusses sowie des Schriftsatzes v. 29.10.2012 an die Beklagten persönlich verfügt. Am 6.11.2012 ging ein auf den 1.11.2012 datierter Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten der Beklagten beim LG Hamburg ein, mit dem diese die Vertretung der Beklagten anzeigten, einen Klagabweisungsantrag ankündigten und Ausführungen zum Klaganspruch machten. Nachdem daraufhin das LG auch den Prozessbevollmächtigten der Beklagten den Kostenbeschluss vom 30.10.2012 übersandt hatten, beantragten diese die Festsetzung einer 1,3-Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV, einer 0,3-Erhöhungsgebühr nach Nr. 1008 VV und einer Postpauschale nach Nr. 7002 VV zuzüglich 19 % Umsatzsteuer gegen die Klägerin. Mit dem angefochtenen Beschluss setzte das LG diese Kosten – insgesamt 949,14 EUR – zur Erstattung fest. Mit ihrer hiergegen gerichteten sofortigen Beschwerde macht die Klägerin geltend, dass sie nicht zur Kostenerstattung verpflichtet sei, weil der Klagerwiderungsschriftsatz erst am 6.11.2012, mithin nach Eingang der Klagrücknahme, bei Gericht eingegangen sei. Die Beklagten hätten keinen Anlass gehabt, sich noch einen Rechtsanwalt zu nehmen. Außerdem habe Frau Rechtsanwältin G. bereits am 26.10.2012 mit dem Beklagten zu 3) telefoniert und ihm mitgeteilt, dass die Belästigungen nicht mehr stattfänden und bereits aus diesem Grund überlegt werde, die Klage zurückzunehmen. Die Beschwerde hatte teilweise Erfolg.
2 Aus den Gründen
Allerdings sind die zur Erstattung beantragten und vom LG festgesetzten Gebühren im Verhältnis zwischen den Beklagten und ihren Prozessbevollmächtigten in der geltend gemachten Höhe entstanden. Die Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV ist mit der Einreichung des Schriftsatzes v. 1.11.2012 beim LG angefallen (vgl. Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, RVG, 20.Aufl., VV 3100, Rn 57 ff.). Auch die Erhöhungsgebühr ist gerechtfertigt, weil die Beklagten hier gem. Klagantrag ausdrücklich als Gesamtschuldner in Anspruch genommen worden sind (Gerold/Schmidt/Müller-Rabe a.a.O., VV 1008, Rn 150). Für die Frage der Erstattungsfähigkeit der Kosten kommt es jedoch weiter darauf an, ob sie zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig waren (§ § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO). Wie das LG in dem angefochtenen Beschluss zutreffend ausgeführt hat, sind die Kosten eines Klagerwiderungsschriftsatzes, der nach Eingang der Klagrücknahme bei Gericht eingeht, dann erstattungsfähig, wenn der Prozessbevollmächtigte den Schriftsatz in entschuldbarer Unkenntnis der Klagrücknahme einreicht (Zöller/Herget, ZPO, 29.Aufl., § 91, Rn 13, Stichwort "Klagerücknahme"). Allerdings liegt keine entschuldbare Unkenntnis vor, wenn die Partei von der Klagrücknahme Kenntnis erlangt und ihren Prozessbevollmächtigten nicht zeitnah darüber informiert (OLG Schleswig, Beschl. v. 27.7.1990 – 9 W 137/90). Denn aus dem Prozessrechtsverhältnis ergibt sich die Pflicht gegenüber der Gegenpartei, die Kosten möglichst niedrig zu halten. Soweit die Klägerin geltend macht, die Beklagten hätten wegen des Telefonats vom 26.10.2012 schon keinen Rechtsanwalt beauftragen dürfen, ist ihr nicht zu folgen. Wie das LG in seinem Nichtabhilfebeschluss vom 11.6.2013 überzeugend ausgeführt hat, bietet eine nur mündliche Ankündigung eines eventuell beabsichtigten Verhaltens keinen ausreichenden Vertrauensschutz, dass die Klagepartei die Klage tatsächlich zurücknimmt.
Die Beklagten haben ihre Prozessbevollmächtigten am 1.11.2012 mit ihrer Vertretung beauftragt und zu diesem Zeitpunkt die tatsächliche Klagrücknahme noch nicht gekannt. Dies haben ihre Prozessbevollmächtigten mit Schriftsatz vom 21.3.2013 unbestritten vorgetragen. Der Vortrag steht auch im Einklang mit dem Datum und dem Inhalt des Klagerwiderungsschriftsatzes und ist schließlich auch unter Zugrundelegung normaler Postlaufzeiten für ausgehende gerichtliche Post noch plausibel (Ausgang des Klagrücknahmeschriftsatzes ...