1. Gesetzliche Grundlagen
Wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wird gem. § 198 Abs. 1 S. 1 GVG angemessen entschädigt. Nach § 198 Abs. 1 S. 2 GVG richtet sich die Angemessenheit der Verfahrensdauer nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter. Gem. § 198 Abs. 2 S. 1 GVG wird ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hierfür kann gem. § 198 Abs. 2 S. 2 GVG Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalls Wiedergutmachung auf andere Weise gem. § 198 Abs. 4 GVG ausreichend ist. Eine solche Wiedergutmachung auf andere Weise ist insbesondere durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts möglich, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Nach § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG versteht man unter einem Gerichtsverfahren jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss. Diese Regelung ist gem. § 202 S. 1 SGG auch in Verfahren vor Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit anwendbar.
2. Zulässigkeit der Klage
Nach Auffassung des LSG Berlin-Brandenburg war die Entschädigungsklage des Klägers zulässig. Die Klage wahre die Schriftform des § 90 SGG und die Klagefrist nach § 198 Abs. 5 S. 2 GVG von sechs Monaten nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet. Außerdem sei es unschädlich, dass der Kläger die Klage bereits am 2.7.2020 und damit – entgegen § 198 Abs. 5 S. 1 GVG – vor Ablauf von sechs Monaten ab Erhebung der Verzögerungsrüge am 30.4.2020 erhoben habe. Die Einhaltung der Wartefrist stelle zwar eine besondere Sachurteilsvoraussetzung dar. Außerdem wäre eine vor Fristablauf erhobene Klage nicht nach Ablauf der Frist zulässig (s. BSG SGb 2014, 628). Jedoch sei es mit Blick auf den Sinn der Wartefrist, dem Gericht die Möglichkeit einzuräumen, auf eine Beschleunigung des Verfahrens hinzuwirken und dadurch weiteren Schaden zu vermeiden, anerkannt, dass eine Klage ausnahmsweise vor Fristablauf erhoben werden kann, wenn das betroffenen Verfahren schon vor Fristablauf beendet wurde (BGH NJW 2014, 2443; BVerwG NVwZ-RR 2015, 641). Ein solcher Fall hat hier nach Auffassung des LSG Berlin-Brandenburg vorgelegen.
3. Anspruch auf Gewährung einer finanziellen Entschädigung
Nach Auffassung des LSG lagen hier die Voraussetzungen für die Gewährung einer finanziellen Entschädigung wegen der unangemessenen Dauer des Erinnerungsverfahrens nicht vor. Hier greife nämlich das negative Tatbestandsmerkmal des § 198 Abs. 2 S. 2 GVG – das Ausreichen einer Wiedergutmachung auf andere Weise – ein. Ebenso wie das Kostenfestsetzungs- und das Erinnerungsverfahren nach § 197 SGG ein eigenständiges Gerichtsverfahren i.S.d. § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG darstellen (so BSG Breith, 2015, 497), stelle das Verfahren auf Festsetzung der PKH-Anwaltsvergütung nach § 55 RVG und das sich anschließende Erinnerungsverfahren nach § 56 RVG ein eigenständiges Gerichtsverfahren dar. Der Kläger sei auch aktiv legitimiert, da er als der Klägerin des Ausgangsverfahrens im Wege der PKH beigeordneter Rechtsanwalt im Verfahren auf Festsetzung der PKH-Anwaltsvergütung und in dem sich anschließenden Erinnerungsverfahren selbst antrags- bzw. erinnerungsberechtigt sei. Der Kläger habe auch eine ordnungsgemäße Verzögerungsrüge erhoben.
4. Unangemessene Dauer des Erinnerungsverfahrens
Über die in § 198 Abs. 1 S. 2 GVG ausdrücklich genannten Kriterien zur Bestimmung der Angemessenheit der Verfahrensdauer hinaus hängt nach Auffassung des LSG Berlin-Brandenburg die Unangemessenheit der Verfahrensdauer wesentlich davon ab, ob dem Staat zurechenbare Verhaltensweisen des Gerichts zur Überlänge des Verfahrens geführt haben. Dabei seien Verzögerungen maßgeblich, also sachlich nicht gerechtfertigte Zeiten des Verfahrens, die auf der Untätigkeit des Gerichts beruhten. Für die Entscheidung, ob eine überlange Verfahrensdauer vorliege, seien daher aktive und inaktive Zeiten der Bearbeitung gegenüberzustellen. Die kleinste relevante Zeiteinheit stelle stets der Kalendermonat dar.
Das LSG Berlin-Brandenburg hat darauf hingewiesen, dass das Erinnerungsverfahren, hinsichtlich dessen der Kläger allein Entschädigung verlangt hatte, mit Eingang des Rechtsbehelfs am 23.2.2018 begonnen hat. Beendet sei dies mit dem am Folgetag zugestellten Beschluss des SG Berlin vom 12.5.2020. Innerhalb dieser Zeit sei das Erinnerungsverfahren von Mai 2008 bis einschließlich April 2020, mithin in 24 Kalendermonaten, nicht gefördert worden.
Dies führt nach den weiteren Ausführungen des LSG Berlin-Brandenburg jedoch nicht dazu, dass von einer Unangemessenheit der Verfahrensdauer im Umfang von 24 Kalendermonaten auszugehen sei. Denn erst die wertende Gesamtbetrachtung und die Abwägung aller Einzelfallumstände ergebe, ob die Verfahrensdauer die äußerste Grenze des Angemessenen deutlich überschritten h...