Entscheidungsstichwort (Thema)

Überlanges Gerichtsverfahren. Entschädigungsklage. Wartefrist. beendetes Ausgangsverfahren. Erinnerungsverfahren gegen eine PKH-Vergütungsfestsetzung. Vorbereitungs- und Bedenkzeit von 12 Monaten. Kompensation durch schnelle Vergütungsfestsetzung des Urkundsbeamten. Übertragung der nicht in Anspruch genommenen Vorbereitungs- und Bedenkzeit für das Vergütungsfestsetzungsverfahren in Höhe von 3 Monaten auf das Erinnerungsverfahren. Kosteninteresse des Rechtsanwalts. keine Geldentschädigung. Wiedergutmachung auf andere Weise. kein Feststellungsausspruch bei vorprozessualer Anerkennung der Überlänge durch den Gerichtspräsidenten. kein Vermögensnachteil bei vorprozessualer Tätigkeit des Rechtsanwalts in eigener Sache. keine Anwendung des § 91 Abs 2 S 3 ZPO. keine Erforderlichkeit der Beauftragung eines Rechtsanwalts für die außergerichtliche Geltendmachung eines Entschädigungsanspruchs. grundsätzliche Zumutbarkeit der Anmeldung der Ansprüche ohne Rechtsanwalt

 

Leitsatz (amtlich)

Das Prozesskostenhilfevergütungsverfahren nach § 55 RVG und ein sich anschließendes Erinnerungsverfahren stellen ein Gerichtsverfahren iSd § 198 Abs 6 Nr 1 GVG dar.

Für ein Vergütungsverfahren nach § 55 RVG steht dem Gericht eine Vorbereitungs- und Bedenkzeit von idR drei Monaten zu.

Für ein sich anschließendes Erinnerungsverfahren steht dem Gericht eine Vorbereitungs- und Bedenkzeit von idR zwölf Monaten zu.

Es kann eine Kompensation von Verzögerungszeiten durch eine zügige Bearbeitung in dem jeweils anderen Verfahrensabschnitt erfolgen.

Weisen ein Vergütungsverfahren nach § 55 RVG und ein sich anschließendes Erinnerungsverfahren eine unangemessene Dauer auf, bedarf es in der Regel nicht der Kompensation durch Gewährung einer finanziellen Entschädigung. Es reicht vielmehr mit Blick auf die im Allgemeinen nur untergeordnete Bedeutung derartiger Verfahren und unter Berücksichtigung der von einer unangemessenen Verfahrensdauer für mit der Prozessführung vertraute Rechtsanwälte als Organe der Rechtspflege ausgehenden, vergleichsweise geringfügigen seelischen Belastung die Wiedergutmachung auf sonstige Weise aus.

Hat der Beklagte im vorprozessualen Entschädigungsverfahren die Unangemessenheit der Verfahrensdauer anerkannt und hierüber sein Bedauern zum Ausdruck gebracht, ist der Anspruch auf Wiedergutmachung in sonstiger Weise als kleiner Entschädigungsanspruch erfüllt.

Die von einem sich selbst vertretenden Rechtsanwalt geltend gemachten Kosten für sein Tätigwerden im Rahmen der vorprozessualen Geltendmachung eines eigenen Entschädigungsanspruchs nach § 198 Abs 1 S 1 GVG stellen keinen materiellen Nachteil dar.

 

Orientierungssatz

1. Für die erste außergerichtliche Geltendmachung eines Entschädigungsanspruchs für ein überlanges Gerichtsverfahren bei einem überschaubaren Sachverhalt und weitgehend geklärter obergerichtlicher Rechtsprechung zu den Voraussetzungen eines Entschädigungsanspruchs ist für einen vernünftigen Laien die Heranziehung eines Rechtsanwaltes nicht erforderlich. Vielmehr ist es einem vernünftigen Laien zuzumuten - wie bei einer ersten Geltendmachung eines Anspruchs gegenüber seiner Versicherung - sich ohne anwaltliche Hilfe direkt an das beklagte Land, ggf über das Ausgangsgericht, zu wenden.

2. Die Regelung des § 91 Abs 2 S 3 ZPO kann für die außergerichtliche Tätigkeit des Anwalts in eigener Sache nicht herangezogen werden (vgl BGH vom 6.5.2004 - I ZR 2/03 = NJW 2004, 2448).

3. Mit Blick auf den Sinn der Wartefrist, dem Gericht die Möglichkeit einzuräumen, auf eine Beschleunigung des Verfahrens hinzuwirken und dadurch (weiteren) Schaden zu vermeiden, ist anerkannt, dass eine Klage ausnahmsweise vor Fristablauf erhoben werden kann, wenn nämlich das betroffene Verfahren schon vor Fristablauf beendet wurde (vgl BGH vom 21.5.2014 - III ZR 355/13 = NJW 2014, 2443 und BVerwG vom 26.2.2015 - 5 C 5/14 D = Buchholz 300 § 198 GVG Nr 4).

4. Teilweise Parallelentscheidung zum Urteil des LSG Berlin-Potsdam vom 17.2.2021 - L 37 SF 156/20 EK SF; zum Anspruch auf Zahlung von Rechtsanwaltskosten für die vorgerichtliche Geltendmachung des Entschädigungsanspruchs genauso auch LSG Berlin-Potsdam vom 17.2.2021 - L 123/20 EK AS.

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt eine Entschädigung wegen überlanger Dauer des vor dem Sozialgericht B (SG) unter dem Aktenzeichen S 133 SF 597/18 E geführten Verfahrens.

Der Kläger, ein Rechtsanwalt, vertrat in dem vor dem SG unter dem Aktenzeichen S 124 AS 4089/16 gegen das Jobcenter Berlin Charlottenburg-Wilmersdorf geführten Verfahren den Kläger K E. In dem Verfahren wurde dem dortigen Kläger mit Beschluss des SG vom 11. Mai 2017 Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung des Klägers bewilligt. Das Verfahren endete durch übereinstimmende Erledigungserklärung der Beteiligten am 26. Januar 2018, nachdem der dortige Beklagte sich u.a. bereit erklärt hatte, die notwendigen außergerichtlichen...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge