Nrn. 4100, 6102 VV RVG
Leitsatz
Im Auslieferungsverfahren löst ein Termin vor dem Richter beim Amtsgericht – sei es zur Entscheidung über eine Festhalteanordnung, sei es zur Verkündung eines Haftbefehls – eine Terminsgebühr nicht aus.
OLG Zweibrücken, Beschl. v. 24.5.2022 – 1 AR 52/21 A
I. Sachverhalt
Der Verfolgte wurde aufgrund seiner Ausschreibung im Schengener Informationssystem (SIS) in Kaiserslautern ergriffen. Die Ausschreibung hat auf dem gegen ihn erlassenen Europäischen Haftbefehl des Kreisgerichts in T. vom 16.8.2021 beruht. Der Verfolgte ist am 28.10.2021 durch das AG angehört worden. Die Rechtsanwältin Y ist in dem Anhörungstermin dem Verfolgten als Beistand beigeordnet worden. Mit Beschl. v. 8.11.2021 hat das OLG Auslieferungshaft und mit weiterem Beschl. v. 9.12.2021 deren Fortdauer angeordnet. Mit Beschl. v. 30.12.2021 hat das OLG die Auslieferung des Verfolgten nach Ungarn für zulässig erklärt. Eine mündliche Verhandlung hat beim OLG nicht stattgefunden. Inzwischen ist der Verfolgte den ungarischen Behörden übergeben worden.
Die Rechtsanwältin hat die Festsetzung von Gebühren und Auslagen i.H.v. 1.288,25 EUR beantragt. Mit dem angefochtenen Festsetzungsbeschluss ist die aus der Landeskasse zu zahlende Vergütung auf 437,92 EUR festgesetzt worden. Abgesetzt worden sind zwei geltend gemachte Termingebühren und die dafür entstandenen Auslagen sowie die Grundgebühr. Gegen die Absetzungen wendet sich die Rechtsanwältin mit ihrer Erinnerung, die keinen Erfolg hatte.
II. Gebühren nach Teil 6 VV
Die Gebühren der Rechtsanwältin für ihre Tätigkeit im Auslieferungsverfahren bestimmen sich nach Teil 6 Abschnitt 1 Unterabschnitt 2 VV. Diese Regelung ist nach den Ausführungen des OLG Zweibrücken abschließend, sodass Teil 4 VV – auch nicht ergänzend – herangezogen werden kann.
1. Grundgebühr Nr. 4100 VV
In Teil 6 VV sei lediglich die mit 348,00 EUR festgesetzte Verfahrensgebühr (Nr. 6101 VV) vorgesehen, nicht dagegen eine Grundgebühr.
2. Terminsgebühr Nr. 6102 VV
Eine Terminsgebühr sei zwar vorgesehen (Nr. 6102 VV), aber hier nicht angefallen. Im Auslieferungsverfahren löse – so das OLG – ein Termin vor dem Richter beim AG – sei es zur Entscheidung über eine Festhalteanordnung, sei es zur Verkündung eines Haftbefehls – eine Terminsgebühr nicht aus. Eine Begründung für seine Auffassung gibt das OLG allerdings nicht. Es verweist lediglich auf die Rspr. anderer OLG (vgl. III. 2.).
III. Bedeutung für die Praxis
1. Keine Grundgebühr
Die Entscheidung ist zutreffend, soweit die geltend gemachte Grundgebühr abgesetzt worden ist. Im hier anwendbaren Teil 6 Abschnitt 1 Unterabschnitt 2 VV ist – anders als in Teil 6 Abschnitt 2 Unterabschnitt 1 VV in der Nr. 6200 VV – eine Grundgebühr nicht vorgesehen. Eine entsprechende Anwendung anderer Regelungen des RVG scheidet aus (Burhoff/Volpert/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl., 2021, Vorbem. 6.1.1 VV Rn 21 m.w.N.).
2. Absetzung der Terminsgebühr
Soweit das OLG auch die Terminsgebühr Nr. 6102 VV nicht gewährt, ist die Entscheidung allerdings nicht zutreffend. Sie entspricht zwar der h.M. in der Rspr. der OLG, die uni sono die Terminsgebühr in den Fällen der Anhörung des Verfolgten bei AG nicht gewähren (vgl. aus neuerer Zeit OLG Bremen RVGreport 2019, 104 = NStZ-RR 2018, 392 = JurBüro 2018, 631; OLG Dresden RVGreport 2018, 62 = JurBüro 2018, 70; OLG Frankfurt am Main NStZ-RR 2021, 127 = JurBüro 2021, 246; OLG Hamburg Rpfleger 2021, 305; OLG Jena JurBüro 2021, 183 = AGS 2021, 217; OLG Köln AGS 2018, 176; OLG München JurBüro 2021, 406; wegen weiterer Nachweise Burhoff/Volpert/Volpert, a.a.O., Nr. 6102 VV Rn 6). Dass diese Auffassung falsch ist, hat Volpert, in: Burhoff/Volpert, a.a.O., Nr. 6102 VV Rn 7 f. überzeugend dargelegt. Die überzeugenden Argumente interessieren die OLG aber nicht. Sie setzen sich mit ihnen, wie dieser Beschluss beweist, noch nicht einmal auseinander bzw. begründen ihre Ansicht nicht. Hinweise auf andere OLG-Entscheidungen sind keine Begründung.
Rechtsanwalt Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg
AGS 9/2022, S. 414