§§ 21 Abs. 1, 66 Abs. 1 und 2 GKG
Leitsatz
Es stellt keine unrichtige Sachbehandlung i.S.v. § 21 Abs. 1 GKG dar, wenn das Gericht auf der Grundlage einer vertretbaren vorläufigen Rechtsansicht Sachverständigenbeweis erhebt und später unter Bezugnahme auf höherinstanzliche Rechtsprechung seine Ansicht ändert, sodass sich das Sachverständigengutachten als überflüssig erweist (Anschluss an OLG München, Beschl. v. 10.3.2003 – 11 W 891/03, NJW-RR 2003, 1294).
OLG Nürnberg, Beschl. v. 24.2.2022 – 8 W 457/22
I. Sachverhalt
Mit seiner vor dem LG Amberg im August 2020 erhobenen Klage hatte der Kläger die Zahlung von 38.250,00 EUR aus einer zwischen den Parteien bestehenden Betriebsschließungsversicherung verlangt. Hintergrund dieses Rechtsstreits war die Schließung der Gaststätte des Klägers infolge der behördlichen Maßnahme wegen der Bekämpfung der Corona-Pandemie seit März 2020 und der damit verbundene Einnahmenverlust des Klägers. Im Rahmen der Güteverhandlung vom 25.2.2021 wies die Einzelrichterin darauf hin, dass nach ihrer vorläufigen Rechtsansicht ein Entschädigungsanspruch des Klägers aufgrund der maßgeblichen Versicherungsbedingungen dem Grunde nach bestehe. Zur konkreten Höhe des Anspruchs werde aber voraussichtlich ein Sachverständigengutachten einzuholen sein. Hieraufhin schlossen die Parteien in der Güteverhandlung einen Vergleich, der später seitens der Beklagten widerrufen wurde. Daraufhin erließ das LG Amberg am 23.3.2021 einen Beweisbeschluss, in dem ein schriftliches Sachverständigengutachten zur Ermittlung des durchschnittlichen Rohertrags der Gaststätte des Klägers eingeholt wurde. Der vom LG beauftragte Sachverständige erstattete das Gutachten am 25.8.2021 und rechnete hierfür ein Honorar i.H.v. 5.419,26 EUR ab, das dem Sachverständigen aus der Landeskasse ausgezahlt wurde. Nachdem die Parteien zu dem Gutachten Stellung genommen hatten, wies das LG Amberg mit Verfügung v. 2.12.2021 darauf hin, dass es seine in der Güteverhandlung geäußerte Ansicht aufgebe. Dazu verwies das LG auf das zwischenzeitlich ergangene Urt. des OLG Nürnberg v. 15.11.2021 – 8 U 322/21.
Hieraufhin traten die Parteien erneut in Vergleichsverhandlungen ein und einigten sich zum Ausgleich der Klageforderung auf eine Zahlung der Beklagten i.H.v. 7.500,00 EUR an den Kläger. Von den Kosten des Rechtsstreits des Vergleichs haben der Kläger 6/7 und die Beklagte 1/7 übernommen. Das Zustandekommen dieses Vergleichs hat das LG Amberg am 28.1.2022 festgestellt.
Bereits unter dem 4.1.2022 hatte der Kläger beantragt, die Gerichtskosten für die Erstellung des Sachverständigengutachtens niederzuschlagen. Die überraschende Änderung der Rechtsansicht des Gerichts dürfe nicht zu seinen Lasten gehen. Das LG Amberg hat diesen Antrag durch Beschl. v. 12.1.2022 zurückgewiesen. Die hiergegen gerichtete Beschwerde hatte beim OLG Nürnberg keinen Erfolg.
II. Nichterhebung von Kosten
1. Beschwerde des Klägers
Das OLG Nürnberg hat die Beschwerde des Klägers als gem. § 66 Abs. 2 S. 1 GKG statthaft angesehen. Sein Antrag auf Niederschlagung der Sachverständigenkosten sei als eine Erinnerung nach § 66 Abs. 1 GKG umzudeuten, unabhängig davon, ob dem Kläger zwischenzeitlich eine Gerichtskostenrechnung zugegangen sei oder noch nicht. Gegen eine den Antrag des Kostenschuldners (hier des Klägers) zurückweisende Entscheidung des Erstgerichts über die Niederschlagung von Gerichtskosten finde deshalb die Beschwerde gem. § 66 Abs. 2 GKG statt. Hierbei handele es sich um einen Teil des Kostenansatzverfahrens (NK-GK/Fölsch, 3. Aufl., 2021, § 21 GKG Rn 3).
2. Keine unrichtige Sachbehandlung
a) Gesetzliche Regelung
Gem. § 21 Abs. 1 S. 1 GKG werden Kosten, die bei richtiger Behandlung der Sache nicht entstanden wären, nicht erhoben. Zu den von dieser Vorschrift erfassten Gerichtskosten gehören nach der Legaldefinition in § 1 Abs. 1 S. 1 GKG a.E. Gebühren und Auslagen. Auslagen in diesem Sinne sind nach Nr. 9005 GKG KV auch die nach dem JVEG zu zahlenden Beträge, mithin auch das an den vom LG Amberg mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens beauftragten Sachverständigen gezahlte Honorar (§ 9 JVEG).
b) Definition der unrichtigen Sachbehandlung
Nach den Ausführungen des OLG Nürnberg liegt eine unrichtige Sachbehandlung i.S.v. § 21 Abs. 1 S. 1 GKG vor, wenn das Gericht offensichtlich und eindeutig gegen gesetzliche Vorschriften verstoßen hat bzw. diese grob verkannt hat (so BGH NJW 1962, 2107 und NJW-RR 2003, 1294). Dabei führe nicht jeder Verfahrensfehler oder sonstige Fehler des Gerichts zur Anwendung des § 21 GKG.
In Anwendung dieser Grundsätze war dem LG Amberg nach Auffassung des OLG Nürnberg kein Verfahrensfehler vorzuwerfen, schon gar kein schwerwiegender.
c) Änderung der Rechtsauffassung keine unrichtige Sachbehandlung
Das OLG Nürnberg hat darauf hingewiesen, dass die Einzelrichterin des LG Amberg den Parteien in der mündlichen Verhandlung vom 25.2.2021 in der gem. § 139 ZPO gebotenen Weise ihr Verständnis von der Auslegung der maßgeblichen Versicherungsbedingungen mitgeteilt habe. Die Richterin habe diese Rechtansicht au...