1. Entstehen der Verfahrensgebühr Nr. 4142 VV
Die grundsätzlichen Ausführungen des OLG zum Entstehen der Verfahrensgebühr Nr. 4142 VV sind zutreffend. Sie entsprechen dem Stand der Rspr. und der Lit. (vgl. wegen der Einzelheiten Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl., 2021, Nr. 4142 VV Rn 18 m. zahlr. w.N.). Dem ist nichts hinzuzufügen.
2. Bemessung des Gegenstandswertes
Die Ausführungen des OLG zur Bemessung des Gegenstandswertes können jedoch nicht unkommentiert bleiben.
a) Kein überflüssiger Streit
Vorab: Auf den ersten Blick scheint der Streit des Pflichtverteidigers mit der Landeskasse ein "Streit um Kaisers Bart" zu sein. Denn selbst, wenn das LG/OLG den Gegenstandswert auf die vom Verteidiger beantragten 30 Mio. EUR – auf § 22 Abs. 2 S. 2 RVG wird hingewiesen – festgesetzt worden wäre, hätte sich für die Pflichtverteidigergebühren nichts geändert. Denn für den Pflichtverteidiger gilt die Beschränkung aus § 49 RVG, die den Gegenstandswert für ihn bei 50.000 EUR kappt. Mehr als 659,00 EUR entstehen für den Pflichtverteidiger an Gebühren also bei der Nr. 4142 VV nicht.
Der Streit ist aber nur vordergründig überflüssig bzw. hat ggf. Bedeutung in Verfahren, in denen es um Wahlanwaltsgebühren geht, da insoweit eben von einem Gegenstandswert von 30.000.000 EUR ausgegangen werden könnte. Das könnte, was sich aus der Entscheidung allerdings nicht ergibt, i.Ü. auch hier greifen. Wenn nämlich das LG in seinem Urteil oder ggf. der BGH in einer potentiellen Revisionsentscheidung nach den Grundsätzen von BGH (Beschl. v. 25.2.2021 – 1 StR 423/20, AGS 2021, 287) eine Kostenentscheidung teilweise zugunsten des Angeklagten getroffen hätte und wegen der erheblichen Verringerung der Einziehungsbetrages, dessen sich die Staatsanwaltschaft berühmt hat, die Kosten und Auslagen zumindest teilweise der Staatskasse auferlegt hätte, dann würde im Rahmen der Erstattung für den Angeklagten der höhere Gegenstandswert herangezogen werden müssen.
b) Widersprüchlich
Hinsichtlich der Ausführungen des OLG zur Bemessung des Gegenstandswertes ist gegen die Darlegungen des OLG zum objektiven wirtschaftlichen Interesse des Angeklagten als Grundlage für die Bemessung nichts einzuwenden. Sie sind grds. zutreffend. Zutreffend sind auch die Anmerkungen des OLG zur Bedeutung der Anklageschrift. Nicht selten wird sie Grundlage der Gegenstandswertbemessung sein, da in ihr die Staatsanwaltschaft, wenn sie eine Einziehung bejaht/ankündigt, auch zu deren Höhe Stellung nehmen muss. Damit ist aber die Grundlage für den Verteidiger gelegt. Der muss/kann aus der Anklageschrift entnehmen, welcher Einziehungsanspruch gegen seinen Mandanten geltend gemacht wird und womit der Mandant schlimmstenfalls rechnen muss. Die Staatsanwaltschaft berühmt sich für den Staat als Rechtsfolge einer Verurteilung eines Anspruchs in dieser Höhe. Gegen den muss sich der Mandant verteidigen, was seinem objektiven wirtschaftlichen Interesse entspricht. M.E. kann man an der Stelle nicht auf einen "fiktiven Charakter der Berechnung des vermeintlich der erweiterten Einziehung unterliegenden Betrages" abstellen, wenn man zuvor die Anklageschrift als das "Maß aller Dinge" als Grundlage der Bemessung herangezogen hat. Und ob "die die Bezifferung dieses Betrages … im Hinblick auf den Ansatzpunkt für deren Berechnung und die wirtschaftlichen Verhältnisse des Angeklagten" zutreffend ist oder nicht, kann m.E. auch keine Rolle spielen. Die Staatsanwaltschaft hat sich eines solchen Anspruchs berühmt, gegen den muss sich der Angeklagte verteidigen. Auch bei Festsetzung der Kosten im Zivilprozess wird – das OLG sieht selbst die Parallele – ja nicht gegen eine geltend gemachte Klageforderung bei (teilweise) Klageabweisung eingewandt, diese sei fiktiv gewesen. Das durch eine "fiktive" Forderung entstehende Kostenrisiko ist das Risiko des Klägers, der sich einer solchen "übersetzten" Forderung berühmt. Im Strafverfahren ist es das Risiko des Staates, der sich, vertreten durch die Staatsanwaltschaft, einer zu hohen/übersetzten Einziehungsforderung berühmt. Da hilft es auch nicht, wenn man mit "offensichtlich abwegig" formuliert. Die Formulierung zeigt vielmehr, dass man sich schon darüber bewusst ist, dass die eigene Begründung widersprüchlich ist und den Beschluss nicht trägt. Man kann nur vermuten, dass es die Höhe des vom Verteidiger geltend gemachten Gegenstandswertes – 30 Mio. EUR – war, die zu dieser Begründung/Entscheidung geführt hat.
Rechtsanwalt Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg
AGS 9/2023, S. 401 - 403