§§ 35, 91 ZPO
Leitsatz
Steht dem Kläger nach § 35 ZPO ein Wahlrecht zwischen dem Gerichtsstand an seinem Wohnsitz und einem auswärtigen Gerichtsstand zu, so sind die Reisekosten des Klägers und seines Anwalts erstattungsfähig, wenn der Kläger den auswärtigen Gerichtsstand wählt.
OLG Celle, Beschl. v. 11.7.2024 – 2 W 98/24
I. Sachverhalt
Der Kläger war in einen Verkehrsunfall verwickelt, der sich in Berlin ereignet hatte, und verlangte nunmehr Schadenersatz vom Unfallverursacher. Sowohl der Kläger als auch sein Prozessbevollmächtigter waren in Berlin ansässig. Ungeachtet dessen hatte der Kläger die Klage vor dem LG Lüneburg erhoben, wo der Beklagte seinen Wohnsitz hatte. Von der Klageerhebung in Lüneburg versprach sich der Kläger aufgrund der dortigen Rspr. bessere Erfolgsaussichten als in Berlin. Nach erfolgreichem Abschluss des Rechtsstreits hat der Kläger im Kostenfestsetzungsverfahren sowohl die eigenen Reisekosten als auch die Reisekosten seines Prozessbevollmächtigten nach Lüneburg zum Termin zur mündlichen Verhandlung angemeldet. Das LG hat antragsgemäß festgesetzt. Hiergegen hat der Beklagte sofortige Beschwerde erhoben und geltend gemacht, weder die Parteireisekosten des Klägers noch die Reisekosten seines Anwalts seien erstattungsfähig, da der Kläger in Berlin hätte klagen können und dadurch diese Reisekosten vermieden worden wären. Das OLG hat die Beschwerde zurückgewiesen.
II. Rechtspflegerin hat zutreffend entschieden
Die Rechtspflegerin hat die von der Beklagten an den Kläger zu erstattenden Kosten zutreffend festgesetzt und hierbei zu Recht die Reisekosten des Klägers und des Klägervertreters berücksichtigt.
Die Einwendung der Beklagten, der Unfall habe sich in Berlin ereignet und sowohl der Kläger als auch die Prozessbevollmächtigten seien in Berlin ansässig, sodass die Klage dort zu erheben gewesen wäre und die Klageerhebung vor dem LG Lüneburg lediglich erfolgt sei, um der Rspr. der Berliner Gerichte zur Vorschadenproblematik und provozierten Verkehrsunfällen zu entgehen, rechtfertigt keine abweichende Beurteilung.
III. Grundsatz der kostensparenden Prozessführung
Nach § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO sind diejenigen Kosten eines Rechtsstreits erstattungsfähig, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren, mithin solche unmittelbar prozessbezogenen Kosten, die eine verständige und wirtschaftlich vernünftig denkende Partei ex ante als sachdienlich ansehen durfte (BGH NJW 2017, 1397). Die Partei darf ihr berechtigtes Interesse verfolgen und die zur vollen Wahrnehmung ihrer Belange erforderlichen Schritte ergreifen (BGH, Beschl. v. 14.9.2021 – VIII ZB 85/20), wobei sie jedoch gehalten ist, die Kosten ihrer Prozessführung so niedrig zu halten, wie sich dies mit der vollen Wahrung ihrer berechtigten Belange vereinbaren lässt. Es gilt das Gebot sparsamer Prozessführung (BGH MDR 2010, 1342 = NJW 2011, 529; OLG Hamm MDR 1984, 103) als Ausprägung des die gesamte Privatrechtsordnung und das Prozessrecht beherrschenden Prinzips von Treu und Glauben (BGH, Beschl. v. 14.9.2021 – VIII ZB 85/20; BGH, Beschl. v. 7.2.2018 – XII ZB 112/17). Der prozessuale Erstattungsanspruch besteht daher nur in den Grenzen einer sparsamen, nicht aber einer optimalen Prozessführung (OLG Jena OLG-NL 2006, 207, 208; MüKo ZPO/Giebel, 3. Aufl., § 91 Rn 38), was angesichts der Ausgestaltung des Kostenfestsetzungsverfahrens als Massenverfahren anhand einer typisierenden Betrachtungsweise zu beurteilen ist (BGH, Beschl. v. 25.10.2011 – VIII ZB 93/1O; BGH JurBüro 2010, 369; BGH NJW 2007, 2048; NJW 2003, 901, 902; NJW-RR 2005, 725, 727; NJW-RR 2005, 1662; JurBüro 2003, 205; OLG Celle, Beschl. v. 24.10.2008 – 2 W 216/08 sowie Beschl. v. 21.11.2008 – 2 W 245/08).
Hieran gemessen sind sowohl die anwaltlichen Reisekosten und das Abwesenheitsgeld als auch die Reisekosten des Klägers sowie die Entschädigung für die Zeitversäumnis als notwendige Kosten der Rechtsverfolgung im Kostenfestsetzungsverfahren zu berücksichtigen.
IV. Freie Wahl unter mehreren Gerichtsständen
Entgegen der Ansicht der Beklagten begegnet die Klagerhebung vor dem LG Lüneburg keinen durchgreifenden Bedenken und steht der Annahme der Zweckmäßigkeit und Notwendigkeit der mit der Anreise zu den Gerichtsterminen verbundenen Kosten nicht entgegen.
Die freie Wahl des Gerichtsstands ist in den Grenzen des rechtsmissbräuchlichen Verhaltens nicht einzuschränken (Anders/Gehle/Gehle, ZPO, 82. Aufl., 2024, § 91 Rn 177). Gem. § 35 ZPO hat der Kläger – ohne dass dies an weitere Voraussetzungen geknüpft wäre – das Wahlrecht unter mehreren zuständigen Gerichten, das bis zur Grenze des Rechtsmissbrauchs im Einzelfall unabhängig davon besteht, welcher Gerichtsstand die geringsten Kosten für den Gegner verursachen würde. Um einen Wertungswiderspruch zu der Wahlfreiheit gem. § 35 ZPO zu vermeiden, kommt eine Versagung der Kostenerstattung erst dann in Betracht, wenn sich die Gerichtsstandswahl im Einzelfall als rechtsmissbräuchlich darstellt (zu Vorstehendem insgesamt: BGH, Beschl. v. 12.9.2013 – I ZB 39/13). Hierbei entspricht es dem berechtigten Interesse des Klägers an einer erfolgreichen Rechtsdurchsetzung, wenn er aus prozesstak...