Rz. 106
Findet der Rechtsstreit am Sitz der Partei statt und beauftragt sie hierfür einen auswärtigen Anwalt, so sind dessen Reisekosten grundsätzlich nicht erstattungsfähig. Dies gilt auch dann, wenn es sich bei diesem auswärtigen Anwalt um "den Anwalt des Vertrauens" handelt oder der auswärtige Anwalt bereits vorprozessual in derselben Angelegenheit tätig war. Zwar ist es im letzteren Fall aus Sicht der Partei nachvollziehbar, dass sie im Hinblick auf die Anrechnungsbestimmung (VV Vorb. 3 Abs. 4) den vorgerichtlich befassten Anwalt beauftragt. Dies ist jedoch grundsätzlich nicht notwendig.
Rz. 107
In diesem Fall sind die Reisekosten des auswärtigen Anwalts jedoch bis zur Höhe der fiktiven Reisekosten eines am Wohn- oder Geschäftsort der Partei ansässigen Rechtsanwalts erstattungsfähig, wenn dessen Beauftragung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder -verteidigung erforderlich gewesen wäre.
Rz. 108
Allerdings kann die Beauftragung eines Anwalts am dritten Ort auch in bestimmten Fällen erstattungsfähig sein, etwa wenn sich dort die Verwaltung der Partei befindet. Dass muss der Prozessgegner hinnehmen.
Rz. 109
Ein Anwalt am dritten Ort kann auch dann erstattungsfähig sein, wenn die Partei außergerichtlich bewusst einen auswärtigen Anwalt beauftragt, weil sie mit einem Rechtsstreit vor dem auswärtigen Gericht rechnet, es dann aber doch zum Rechtsstreit vor dem eigenen Gericht kommt.
Beispiel: Der in Nürnberg wohnende Gläubiger beabsichtigt, gegen den in München wohnenden Schuldner vorzugehen. Er beauftragt einen Münchener Anwalt, der zunächst noch einmal versuchen soll, die Angelegenheit außergerichtlich zu regeln. Sollte diese Regelung scheitern, soll der Anwalt in München Klage erheben. Bevor nach Scheitern der außergerichtlichen Verhandlungen der Anwalt in München Klage erheben kann, wird vor dem LG Nürnberg negative Feststellungsklage erhoben.
In diesem Falle kann es kostenerstattungsrechtlich nicht zu beanstanden sein, dass die Partei an ihrem auswärtigen Anwalt festhält.
Rz. 110
Ebenso bejaht die Rechtsprechung die Erstattungsfähigkeit der Reisekosten eines auswärtigen Anwalts an einem anderen Ort für einen Rechtsstreit vor dem Gericht am Sitz der Partei, wenn es sich um einen ausgewiesenen Spezialisten handelt und ein solcher am Ort des Gerichts nicht vorhanden ist.
Rz. 111
Des Weiteren werden Reisekosten eines auswärtigen Anwalts bejaht, wenn es sich um eine ausländische Partei handelt und diese eine bestimmte Rechtsanwaltskanzlei generell mit der Wahrnehmung ihrer Rechte in Deutschland beauftragt. In diesem Fall gehören deren Reisekosten zu einem Gerichtstermin außerhalb ihres Kanzleiortes (hier: Markensache) i.d.R. zu den erstattungsfähigen Kosten nach § 91 Abs. 1 ZPO. Der ausländischen Partei ist es dabei unabhängig von ihrer Parteirolle grundsätzlich nicht zuzumuten, die Wahl des deutschen Rechtsanwalts am Sitz des Prozessgerichts auszurichten; sie kann vielmehr frei bestimmen, wo sie ihren Anwalt beauftragt.
Rz. 112
Hierzu gehört auch der Fall, dass ein bundesweit tätiger Versicherer nach endgültiger Leistungsablehnung seine Akten einem Rechtsanwalt überträgt, der aufgrund ständiger Geschäftsbeziehungen derartige Verfahren weiter bearbeitet ("Hausanwalt"). Der unterliegende Prozessgegner hat diese Betriebsorganisation hinzunehmen und etwaige fiktive Reisekosten des bevollmächtigten Hausanwalts als notwendige Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Rz. 113
Gleiches gilt, wenn die auswärtige Partei ein Haftpflichtversicherer ist, der keine eigene Rechtsabteilung unterhält, sondern bei rechtlichen Schwierigkeiten einen Hausanwalt an seinem Geschäftsort beauftragt. Dessen Zuziehung ist regelmäßig als zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig i.S.v. § 91 Abs. 2 S. 1, 2. Hs. ZPO anzusehen.
Rz. 114
Übt der Kläger das ihm zustehende Recht zur Wahl unter mehreren zuständigen Gerichten gemäß § 35 ZPO dahin aus, dass er nicht im eigenen Gerichtsstand klagt, sondern bei einem auswärtigen Gericht an einem dritten Ort, der auch nicht dem Gerichtsstand des Beklagten entspricht, dann sollen die Reisekosten seines an seinem Wohn- oder Geschäftssitz ansässigen Prozessbevollmächtigten anlässlich der Terminswahrnehmung an dem auswärtigen Gerichtsort nicht zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig und deshalb nicht erstattungsfähig sein, weil der Kläger bei der Gerichtswahl seiner Pflicht zur kostengünstigsten Prozessführung nicht nachgekommen sei. Das dürfte unzutreffend sein, weil der Partei unter mehreren Gerichtsständen die freie Wahl zusteht und dieses Wahlrecht nicht durch eine eingeschränkte Kostenerstattung unterlaufen werden darf.