Rz. 84
Von diesem Grundsatz der Erstattungsfähigkeit gibt es Ausnahmen. So wird die Erstattungsfähigkeit insbesondere dann abgelehnt, wenn die Partei geschäftsgewandt ist und sie problemlos einen Anwalt am Gerichtsort schriftlich oder fernmündlich hätte beauftragen können. Bei Privatpersonen wird dies grundsätzlich nicht der Fall sein. Diese Ausnahme betrifft vielmehr Unternehmen, insbesondere mit eigenen Rechtsabteilungen. Auch hier ist der BGH allerdings zurückhaltend, was die Ablehnung eines Anwalts am Ort oder Sitz der Partei oder deren Verwaltung angeht. Grundsätzlich ist auch sie berechtigt, einen an ihrem Ort oder Sitz oder sogar am Ort einer ausgelagerten Verwaltung niedergelassenen Anwalt zu beauftragen und diesen zum Termin reisen zu lassen. Insoweit kommt es entscheidend auf die Art des Verfahrens an, also ob besondere rechtliche oder tatsächliche Schwierigkeiten bestehen oder ob es sich um einen Routine- oder Bagatellfall handelt.
Rz. 85
Bejaht hat der BGH die Erstattungsfähigkeit der Reisekosten in folgenden Fällen:
Rz. 86
Überlässt ein bundesweit tätiger Versicherer nach endgültiger Leistungsablehnung seine Akten einem Rechtsanwalt, der aufgrund ständiger Geschäftsbeziehungen derartige Verfahren weiter bearbeitet ("Hausanwalt"), so hat der unterliegende Prozessgegner diese Betriebsorganisation hinzunehmen und etwaige fiktive Reisekosten des bevollmächtigten Hausanwalts als notwendige Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Rz. 87
Bei einem überregional tätigen Unternehmen (hier: der Deutschen Telekom AG) kann es trotz des Gebots der Kosteneinsparung aus wirtschaftlich sinnvollen Gründen gerechtfertigt sein, einen weder am Unternehmenssitz noch am Sitz des späteren Prozessgerichts ansässigen Rechtsanwalt mit der Durchführung des Mahnverfahrens zu beauftragen, obwohl für die Mandatserteilung ein eingehendes Mandatsgespräch nicht erforderlich ist. Solche Gründe sind die personelle und organisatorische Eignung der Kanzlei zur Bewältigung von massenhaften Mahnverfahren sowie der Erfahrung des Unternehmens, dass 90 % dieser Mahnverfahren ohne Widerspruch durchgeführt werden.
Rz. 88
Ein Versicherungsunternehmen, das seine "Hausanwälte" mit der Prozessvertretung im Rahmen einer Klage am Wohnort des Versicherungsnehmers (hier: auf Zahlung rückständiger Versicherungsprämien in der Krankenversicherung) beauftragt, hat Anspruch auf Ersatz der für den auswärtigen Prozessbevollmächtigten für die Terminswahrnehmung anfallenden Reisekosten sowie Tage- und Abwesenheitsgeld; es besteht keine Obliegenheit oder gar Verpflichtung für gewerbliche Unternehmen, eine Rechtsabteilung zu unterhalten, die den Streitstoff so gründlich vorbereitet, dass die Einschaltung eines in ihrer Nähe ansässigen Rechtsanwalts entbehrlich wird.
Rz. 89
Die Zuziehung eines in der Nähe ihres Wohn- oder Geschäftsortes ansässigen Rechtsanwalts durch eine an einem auswärtigen Gericht klagende oder verklagte Partei stellt im Regelfall eine notwendige Maßnahme zweckentsprechender Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung i.S.v. § 91 Abs. 2 S. 1, 2. Hs. ZPO dar. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz kann bei Entbehrlichkeit eines Mandantengesprächs eingreifen. Ein solcher Ausnahmefall liegt bei komplexen, rechtlich schwierigen Fragen, die noch nicht umfassend durch die Rechtsprechung geklärt sind selbst dann nicht vor, wenn es sich bei der Partei um eine über eine Rechtsabteilung verfügende Bank handelt.
Rz. 90
Die Zuziehung eines am Wohn- oder Geschäftsort der auswärtigen Partei ansässigen Rechtsanwalts ist auch dann regelmäßig als zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig i.S.v. § 91 Abs. 2 S. 1, 2. Hs. ZPO anzusehen, wenn ein Haftpflichtversicherer Partei ist, der keine eigene Rechtsabteilung unterhält, sondern bei rechtlichen Schwierigkeiten einen Hausanwalt an seinem Geschäftsort beauftragt (sog. "Outsourcing").
Rz. 91
Die Terminsreisekosten des auswärtigen Prozessbevollmächtigten einer über eine Rechtsabteilung verfügenden Bank sind erstattungsfähig, wenn es sich bei dem Rechtsstreit nicht um ein Routinegeschäft (hier: Klage aus einer Bürgschaft) handelt.
Rz. 92
Die für die Notwendigkeit der Beauftragung eines auswärtigen Rechtsanwalts erforderlichen besonderen Umstände setzen, wenn sie nicht aus der Natur des Streitfalls folgen, jedenfalls voraus, dass die außergerichtliche Bearbeitung der Sache aufgrund einer allgemeinen Maßnahme der Betriebsorganisation und nicht nur im Einzelfall für die Partei an dem Ort erfolgt, an dem der auswärtige Rechtsanwalt seine Kanzlei hat.
Rz. 93
Beauftragt ein Unternehmen zur Führung eines Prozesses bei einem auswärtigen Gericht einen Rechtsanwalt an dem Ort, an dem sich zwar nicht der Sitz des Unternehmens befindet, an dem die Sache aber nach der unternehmensinternen Organisation vorprozessual bearbeitet worden ist, sind die Reisekosten dieses Anwalts nach denselben Grundsätzen zu erstatten wie im Falle der Beauftragung eines am Sitz des Unternehmens ansässi...