ZPO § 91 Abs. 1; RVG VV Nr. 3200
Leitsatz
Beantragt der Berufungsbeklagte nach Einlegung und Begründung des Rechtsmittels dessen Zurückweisung, sind die dadurch entstehenden Anwaltsgebühren auch dann notwendige Kosten der Rechtsverteidigung, wenn das Gericht noch keine Frist zur Berufungserwiderung gesetzt hat, weil es zunächst ein Vorgehen nach § 522 Abs. 2 ZPO prüft.
BGH, Beschl. v. 24.6.2010 – VII ZB 6/09
Sachverhalt
Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger für das Berufungsverfahren trotz Zurückweisungsbeschlusses des Berufungsgerichts nach § 522 Abs. 2 ZPO die Erstattung der vollen anwaltlichen Verfahrensgebühr verlangen kann.
Das LG hat der Klage durch Endurteil teilweise stattgegeben. Der Beklagte hat gegen diese Entscheidung Berufung eingelegt und diese begründet. Die Berufungsbegründung wurde dem Kläger am 12.6.2008 mit dem Hinweis zugestellt, dass eine Frist zur Berufungserwiderung derzeit nicht gesetzt werde und das Berufungsgericht vorab ein Vorgehen nach § 522 Abs. 2 ZPO prüfe. Der Kläger hat daraufhin mit Schriftsatz vom 17.6.2008 (erneut) die Zurückweisung der Berufung beantragt. Das Berufungsgericht hat mit Beschl. v. 1.9.2008 darauf hingewiesen, dass es beabsichtige, die Berufung mit Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, und hat – nachdem eine Stellungnahme des Beklagten nicht erfolgt war – mit Beschl. v. 23.9.2008 entsprechend entschieden.
Die nach diesem Beschl. v. Beklagten an den Kläger zu erstattenden Kosten des Berufungsverfahrens hat das LG nicht, wie vom Kläger beantragt, auf 861,60 EUR sondern nur auf 598,60 EUR festgesetzt, weil es die Gebühren des Prozessbevollmächtigten des Klägers im Berufungsverfahren nicht in Höhe einer 1,6-Verfahrensgebühr (Nr. 3200 VV), sondern nur in Höhe einer 1,1-Verfahrensgebühr (Nr. 3201 VV) für erstattungsfähig erachtet hat. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde des Klägers hat das Beschwerdegericht zurückgewiesen.
Die vom Beschwerdegericht zugelassene Rechtsbeschwerde hatte Erfolg.
Aus den Gründen
Die gem. § 574 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet.
1. Das Beschwerdegericht ist der Ansicht, die durch den gestellten Antrag auf Zurückweisung der Berufung angefallene 1,6-Verfahrensgebühr nach Nr. 3200 VV sei nur in Höhe einer 1,1-Verfahrensgebühr nach Nr. 3201 VV erstattungsfähig, § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO. Der Antrag sei unmittelbar nach Zustellung der Berufungsbegründung noch nicht erforderlich gewesen, denn das Berufungsgericht habe mit Zustellung der Berufungsbegründung darauf hingewiesen, dass es zunächst keine Frist zur Berufungserwiderung setzen werde, da vorab ein Vorgehen nach § 522 Abs. 2 ZPO geprüft werde. Deshalb seien Kosten auslösende Sachanträge vor Abschluss dieser Prüfung nicht sachdienlich gewesen.
2. Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Beantragt der Berufungsbeklagte nach Einlegung und Begründung des Rechtsmittels dessen Zurückweisung, sind die dadurch entstehenden Anwaltsgebühren auch dann notwendige Kosten der Rechtsverteidigung, wenn das Gericht noch keine Frist zur Berufungserwiderung gesetzt hat, weil es zunächst ein Vorgehen nach § 522 Abs. 2 ZPO prüft.
a) Durch den Antrag auf Zurückweisung der Berufung ist nach §§ 2, 13 RVG i.V.m. Nr. 3200 VV eine nach dem Gegenstandswert von 10.951,95 EUR zu berechnende 1,6-fache Verfahrensgebühr in Höhe von 841,60 EUR entstanden. Die 1,6-fache Verfahrensgebühr nach Nr. 3200 VV entsteht nach Vorbem. 3 Abs. 2 VV für das Betreiben des Geschäfts. Zum Betreiben des Geschäfts zählt das Einreichen von Schriftsätzen bei Gericht. Der Regelung der Nr. 3201 S. 1 Nr. 1 VV ist zudem zu entnehmen, dass allein die Stellung der Sachanträge die volle Verfahrensgebühr auslöst, auch wenn der Schriftsatz keinen Sachvortrag zur Begründung der Anträge enthält.
b) Der Senat hat bereits entschieden, dass der nach Eingang der Berufungsbegründung gestellte Antrag auf Zurückweisung der Berufung nicht deshalb als eine nicht zweckentsprechende Rechtsverfolgung i.S.d. § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO angesehen werden kann, weil eine Entscheidung nach § 522 Abs. 2 ZPO noch nicht ergangen ist (BGH, Beschl. v. 9.10.2003 – VII ZB 17/03, NJW 2004, 73 [= AGS 2004, 124]). Er hat dabei darauf hingewiesen, dass der Berufungsbeklagte ein berechtigtes Interesse daran hat, mit anwaltlicher Hilfe in der Sache frühzeitig zu erwidern und eine vom Berufungsgericht möglicherweise beabsichtigte Zurückweisung der Berufung im Beschlusswege durch eigene zusätzliche Argumente zu fördern. Eine Förderung in diesem Sinne liegt auch vor, wenn der Abweisungsantrag nicht begründet wird und eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der Berufungsbegründung nicht erfolgt (BGH, Beschl. v. 2.10.2008 – I ZB 111/07, NJW-RR 2009, 859 [= AGS 2009, 143]). Entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts spielt es keine Rolle, ob das Berufungsgericht dem Berufungsgegner eine Frist zur Berufungserwiderung gesetzt oder eine solche im Hinblick auf die bevorstehende Prüfung eines Vorgehens des Gerichts nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückgestellt ha...