Das Beschwerdegericht vertritt die Auffassung, dass im vorliegenden Fall § 15 Abs. 5 S. 2 RVG analog Anwendung finde. Durch den Vergleich sei das Verfahren seit mehr als zwei Kalenderjahren erledigt, daher seien durch die erneute Beauftragung der klägerischen Prozessbevollmächtigten die Geschäfts- und Terminsgebühren erneut entstanden.

Die Entscheidung des Beschwerdegerichts hält einer rechtlichen Überprüfung im Ergebnis stand.

a)  Zutreffend hat das Beschwerdegericht das RVG angewandt. Nach einhelliger Auffassung gilt zwar das Verfahren vor und nach Abschluss eines Prozessvergleichs und insbesondere der Streit um seine Wirksamkeit als eine einzige Angelegenheit (vgl. Hartmann, KostG, 40. Aufl., § 15 Rn 42 m.w.N.). Da das Verfahren vor dem 1.4.2004 eingeleitet wurde, gilt für das Gebührenrecht unabhängig von der Frage, wann der Vergleich geschlossen oder angefochten wurde, nach § 61 Abs. 1 S. 1 RVG an sich die BRAGO (Schneider, MDR 2005, 19). Da § 61 Abs. 1 S. 1 RVG jedoch zur Abgrenzung auf den Begriff der Angelegenheit in § 15 RVG verweist, gilt für das Übergangsrecht die Fiktion des § 15 Abs. 5 S. 2 RVG. Geht man – mit der hier vertretenen Auffassung (vgl. unten sub c.)) – in analoger Anwendung dieser Vorschrift davon aus, dass es sich bei der nach mehr als zwei Jahren erfolgenden Fortsetzung eines Prozesses aufgrund Anfechtung eines Prozessvergleichs um eine "neue Angelegenheit" handelt, dann gelten für diese gem. § 61 Abs. 1 S. 1 RVG die Vorschriften des RVG und damit auch § 15 RVG (AnwK-RVG/N. Schneider, 5. Aufl., § 15 Rn 272; Winkler, in: Mayer/Kroiß, RVG, 3. Aufl., § 15 Rn 185 f.; Mayer, in: Gerold/Schmidt, RVG, 18. Aufl., § 60 Rn 12; grundsätzlich die Anwendbarkeit von § 15 Abs. 5 S. 2 RVG bei einer neuen Angelegenheit bejahend, für den konkreten Fall der Unterbrechung durch Tod einer Partei allerdings ablehnend: FG Saarland AGS 2008, 290). Dabei ist der systematische Widerspruch hinzunehmen, dass bei der Frage der Anwendbarkeit des RVG zunächst von der grundsätzlichen Anwendbarkeit des § 61 RVG ausgegangen und zugleich darüber entschieden wird, ob § 15 Abs. 5 S. 2 RVG überhaupt analog angewendet werden kann. Dies ist im Wesentlichen dem Umstand geschuldet, dass die Frage der Anwendbarkeit des RVG nicht in einer externen Übergangsvorschrift im Rahmen des Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes, sondern im RVG selbst geregelt ist und das RVG zusätzlich noch zur Beantwortung dieser Frage auf seine eigenen Regelungen verweist, obwohl gerade deren Anwendbarkeit zu prüfen ist (vgl. zur Kritik an § 61 RVG AnwK-RVG/N. Schneider, 5. Aufl., § 61 Rn 1; Mayer, in: Gerold/Schmidt, RVG, 18. Aufl., § 60 Rn 11 m.w.N.). Der gesetzgeberische Wille zielt jedoch darauf ab, zwischen der Anwendung der BRAGO und des RVG abzugrenzen, vgl. BT-Drucks 15/1971, S. 203 f., Begründung zu § 61 RVG. Dazu kann es nach der – insofern allerdings nicht widerspruchsfreien – Gesetzessystematik erforderlich sein, Vorschriften bereits inhaltlich anzuwenden, um im Ergebnis die eigentlich vorrangige Frage ihrer grundsätzlichen Anwendbarkeit zu bejahen (a.A. LG Düsseldorf RVGreport 2005, 344, das von einem redaktionellen Versehen und einem Verweis auf § 13 Abs. 5 BRAGO ausgeht).

b)  Zu Recht hat das Beschwerdegericht eine direkte Anwendbarkeit von § 15 Abs. 5 S. 2 RVG verneint. § 15 Abs. 5 S. 2 RVG findet unmittelbar nur Anwendung, wenn einem Rechtsanwalt nach Erledigung eines früheren Auftrags ein weiterer Auftrag erteilt worden ist (vgl. zu § 13 Abs. 5 BRAGO BGH, Urt. v. 30.3.2006 – VII ZB 69/05 – NJW 2006, 1525 m.w.N.).

aa)  Zwar wurde der Auftrag durch den Prozessvergleich erledigt. Für die Erledigung des Auftrags i.S.v. § 15 Abs. 5 S. 2 RVG ist auf die zu § 8 Abs. 1 S. 1 RVG gefundene Definition dieses Begriffs abzustellen (vgl. zum inhaltlich identischen § 16 S. 1 BRAGO: BGH, Urt. v. 30.3.2006 – VII ZB 69/05, NJW 2006, 1525 m.w.N.; zu § 15 Abs. 5 S. 2 RVG: AnwK-RVG/N. Schneider, § 15 Rn 272). Danach ist ein Auftrag erledigt, wenn der Anwalt seine Verpflichtungen aus dem Anwaltsdienstvertrag vollständig erfüllt hat (Gierl, in: Mayer/Kroiß, RVG, 4. Aufl., § 8 Rn 16). Davon ist bei einem alle streitgegenständlichen Positionen umfassenden Prozessvergleich auszugehen.

bb)  Jedoch wurde der Prozessvertreterin der Klägerin entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts kein neuer Auftrag erteilt. Der Streit über die Wirksamkeit eines Prozessvergleichs wird nach std. Rspr. des BGH in demselben Verfahren fortgesetzt (BGHZ 142, 253, 254 = NJW 1999, 2903). Dies gilt – wie bereits ausgeführt – gebührenrechtlich nicht als neue Angelegenheit. Ein neuer Auftrag zur Fortführung des Prozesses ist nicht erforderlich, der Prozessbevollmächtigte bleibt weiterhin beauftragt. Insofern besteht kein Unterschied zu Fällen, in denen ein unter Widerrufsvorbehalt abgeschlossener Vergleich widerrufen wird. Dazu, dass hier zwischenzeitlich das Mandat niedergelegt oder der Auftrag gekündigt wurde, ist nichts vorgetragen. Zudem entstünden dadurch keine notwendigen Kosten i....

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?