Mittlerweile liegen zur Frage der Streitwertbemessung bei Einsichtsklagen in medizinische Behandlungsdokumentationen drei unterschiedliche Entscheidungen von Oberlandesgerichten aus neuerer Zeit vor. Das OLG Saarbrücken, bemisst die Einsichtsklage mit regelmäßig 10–25 % der Hauptsache, spricht aber auch davon, dass je nach Konstellation der Streit um das Einsichtsrecht bis zu 100 % des Hauptsachestreitwerts ausmachen kann (dem ist zuzustimmen). Das OLG Nürnberg gelangt in der vorstehend abgedruckten Entscheidung immerhin noch zu einem Regelstreitwert von 20 %. Nur das OLG Köln hat bislang wiederholt tiefgestapelt und den Gebührenstreitwert auf regelmäßig 10 % der Hauptsache abgesenkt. Ebenso beliebig wie die Gerichte zur Höhe von Schmerzensgeldansprüchen entscheiden, verfahren sie somit auch bei der Streitwertbemessung – es gibt bundesweit hierzu keine einheitliche Linie und Hilfe durch den BGH ist nicht in Sicht; dieser lehnt es sogar aktiv ab, sich in diesen Streit einzumischen.
Anwälte und Parteien haben sich daher darauf einzurichten, dass in den Streitwertberechnungen drei unbekannte Größen auftreten:
- Welches Gericht entscheidet, bzw. welcher bestehenden Linie schließt sich das entscheidende Gericht an?
- Was bedeutet "regelmäßig"?
- Wie hoch ist der Wert der Hauptsache?
Tatsächlich lassen sich die Entscheidungslager zunächst aufteilen in 10 %-ige und mehr als 10 %-ige Spruchkörper. Dass ein Gericht beim Ansatz des Streitwerts auch einmal unter 10 % geht, dürfte eine ebenso seltene Ausnahme sein, wie der Ansatz von mehr als 25 %. Am realistischsten scheint daher bislang das OLG Saarbrücken die Dinge zu sehen.
Sodann wird das Gericht entscheiden müssen, ob ein "Regelfall" einer Einsichtsklage vorliegt. Regelfall – was ist das? Wie verhalten sich Therapeuten regelmäßig, wenn sie auf Einsicht verklagt werden? Oder anders: In welchem Umfang verlangen Patienten in der Regel Einsicht und Auskunft? Oder auch: Von welchen Schwierigkeiten ist der Einsichtsstreit regelmäßig gekennzeichnet? Fragen über Fragen. Schon der methodische Ansatz, mit dem insbesondere die "Schotten vom Rhein" einen Regelfall ermitteln möchten, bleibt dunkel. Kaum eine Vokabel gelangt in ihrem juristischen Bedeutungsinhalt näher an das apodiktische "immer" heran; wenn der Jurist von "regelmäßig" oder "grundsätzlich" spricht, hält er sich sprachlich zwar eine Ausnahme offen, an deren Existenz er zumeist jedoch selber nicht glaubt.
Sodann – und diesen Parameter scheinen die Klägeranwälte noch am ehesten beeinflussen zu können, was auch konsequent genutzt werden sollte – tritt als dritter Faktor der Wert der "Hauptsache" hinzu. Was aber bitte ist beim Einsichtsstreit im Frühstadium einer Arzt-Patient-Auseinandersetzung die "Hauptsache"? Was, wenn der Patient nur sein informationelles Selbstbestimmungsrecht durchsetzen möchte, ohne Haftungshintergedanken? Eine Hauptsache kann es sachlogisch nur geben, wenn dem Einsichtsstreit ein weiteres Verfahren nachfolgt, z.B. ein Haftungsstreit. Ob es hierzu überhaupt später kommen kann und soll, ist zu ergründen zumeist gerade Motivation der Einsichtsklage, kann also in diesem Frühstadium noch überhaupt nicht verlässlich prognostiziert werden. Es klingt somit unbeholfen, einen Hauptsachestreit anzunehmen, wie im Verhältnis der Leistungsklage zum einstweiligen Rechtsschutz, die es noch gar nicht gibt. Gerade hier liegt aber die Chance für den Anwalt, Einfluss zu nehmen: Im schwer prognostizierbaren Bereich der Gesundheit kann der Fehler des Arztes, schon eine banale Infektion reicht hierfür aus, im weiteren Fortgang zu Berufsunfähigkeit führen, was dem Gericht in diesem Frühstadium, ohne Behandlungsdokumentation und Sachverständigengutachten, auch leichthin schlüssig dargelegt werden kann. Folglich kommt in der Hauptsache zuzüglich zum materiellen Schaden bereits ein Rentenanspruch in Höhe des 3,5-fachen Jahresgehalts zum Tragen, womit sich ein sechsstelliger Hauptsachestreitwert plausibel argumentieren lässt.
Nun steht der Rechtsanwalt bei Aufnahme eines Arzthaftungsmandats nicht selten auch vor dem Problem, dass beim Bestehen einer Rechtsschutzversicherung diese den Streitwert der Hauptsache möglichst gering ansetzen möchte; sechsstellige Summen sind dort kaum gerne gesehen. An dieser Stelle kann der Anwalt sich jedoch mit einem Trick behelfen, der zugleich dazu führt, den Streit dauerhaft vom Amtsgericht fernzuhalten: Im Klageentwurf für die Einsichtsklage wird auf die Auffangvorschrift § 52 Abs. 2 GKG (analog) Bezug genommen (Auffangstreitwert: 5.000,00 EUR) und ansonsten hierzu geschwiegen, weil der Wert derzeit nicht feststellbar sei. Einen solchen – unbestimmten – Vortrag tragen Rechtsschutzversicherer der Höhe nach zumeist unproblematisch mit; die Klage wird sodann auch konsequent beim Amtsgericht eingereicht. Anschließend trägt der Klägeranwalt im nächsten Schriftsatz vor, er wäre nun zu der Auffassung gelangt, dass gem. OLG Saarbrücken 25 % des Hauptsachestreits anzusetzen seien, also materieller Schaden...