Leitsatz
Hat eine Partei einen spezialisierten Rechtsanwalt an ihrem Geschäftssitz mit ihrer Vertretung im erstinstanzlichen Verfahren beauftragt, sind die durch die Einschaltung eines anderen spezialisierten Rechtsanwalts, der weder am Geschäftssitz der Partei noch am Gerichtsort ansässig ist, für die Vertretung im Berufungsverfahren entstandenen Mehrkosten auch dann nicht als notwendige Kosten i.S.d. § 91 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 ZPO anzusehen und vom Gegner mit zu tragen, wenn die Partei mit diesem anderen Rechtsanwalt bereits langjährig und vertrauensvoll zusammengearbeitet hat.
OLG Schleswig, Beschl. v. 2.4.2015 – 9 W 124/14
1 Sachverhalt
Die Klägerin machte einen Anspruch auf Schadensersatz wegen fehlerhafter Anlageberatung gegen die Beklagten geltend. Die in H. ansässige Beklagte zu 1) beauftragte erstinstanzlich den ebenfalls in H. ansässigen Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht Dr. K. Nachdem das LG der Klage überwiegend stattgegeben hatte, beauftragte die Beklagte zu 1) für das Berufungsverfahren den in B. ansässigen Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht A. Sodann schlossen die Parteien im Berufungsverfahren einen Vergleich mit entsprechender Kostenregelung.
In dem daraufhin ergangenen Kostenfestsetzungsbeschluss setzte der Rechtspfleger die Reisekosten des zweitinstanzlichen Anwalts der Beklagten ab. Dagegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Beklagten zu 1), die insoweit keinen Erfolg hatte.
2 Aus den Gründen
Die Beschwerde der Beklagten zu 1) ist unbegründet.
a) Zu Recht hat der Rechtspfleger mit seiner Abhilfeentscheidung die von der Klägerin an die Beklagte zu 1) zu erstattenden Kosten auf 6.037,58 EUR festgesetzt. Der Rechtspfleger hat neben den außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1) für die erste Instanz in Höhe von 8.813,85 EUR brutto, die mit der Beschwerde nicht angegriffen werden, die außergerichtlichen Kosten für die zweite Instanz mit zutreffender Begründung nur in Höhe von 10.844,23 EUR brutto berücksichtigt. Der Ansatz von Fahrtkosten für vier Hin- und Rückfahrten zu Gerichtsterminen in Schleswig ausgehend vom Sitz des von der Beklagten zu 1) erstinstanzlich beauftragten Prozessbevollmächtigten in H. sowie eines Abwesenheitsgeldes für jeweils eine Geschäftsreise von mehr als acht Stunden in Höhe von 60,00 EUR ist zutreffend.
b) Die von der Beklagten zu 1) geltend gemachten höheren Kosten sind nicht erstattungsfähig i.S.d. § 91 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 ZPO. Es entspricht der ständigen höchstrichterlichen Rspr., dass eine Prozesspartei unter Kostengesichtspunkten zwar nicht darauf beschränkt ist, einen am Gerichtsort ansässigen Prozessbevollmächtigten zu beauftragen. Hieraus folgt aber nicht das Recht einer Prozesspartei, ohne kostenrechtliche Nachteile jeden beliebigen Rechtsanwalt in der Bundesrepublik für ihre Prozessvertretung auswählen zu können. Vielmehr kann sie auch einen an ihrem Wohn- oder Geschäftsort oder in dessen Nähe ansässigen Rechtsanwalt einschalten. Wählt die Partei hingegen einen an einem dritten Ort ansässigen Rechtsanwalt, geht dies kostenmäßig nicht zu Lasten der anderen Partei. Diese muss grundsätzlich nur die Kosten (mit)tragen, die aus dem Auseinanderfallen von Gerichtsort einerseits und Geschäfts- oder Wohnort der anderen Prozesspartei andererseits entstehen (vgl. nur BGH, Beschl. v. 22.2.2007 – VII ZB 93/06, NJW-RR 2007, 1071 Rn 11 [= AGS 2008, 260]; Beschl. v. 22.4.2008 – XI ZB 20/07, BeckRS 2008, 10901 Rn 8). Deshalb sind die Kosten regelmäßig nur bis zur Höhe der fiktiven Reisekosten eines am Wohn- oder Geschäftsort der Partei ansässigen Rechtsanwalts zu erstatten (siehe auch BGH, Beschl. v. 7.6.2011 – VIII ZB 102/08, NJW-RR 2011, 1430 Rn 8 [= AGS 2011, 460]).
Die hiergegen vorgebrachten Argumente der Beklagten zu 1) überzeugen nicht und stimmen nicht mit diesen aufgezeigten Grundsätzen der Rspr. überein.
(1) Soweit die Beklagte zu 1) geltend macht, sowohl sie als auch ihre Muttergesellschaft, die D-AG, ließen sich deutschlandweit nur von einer Handvoll spezialisierter Rechtsanwaltskanzleien vertreten, mit denen sie bereits langjährig zusammen arbeiteten, ist nicht nachvollziehbar, weshalb sich die Beklagte zu 1) für das Verfahren in erster Instanz von einem an ihrem Sitz in H. ansässigen Prozessbevollmächtigten hat vertreten lassen und sich dann für die zweite Instanz einen anderen, an einem dritten Ort ansässigen Rechtsanwalt gewählt hat. Gehörte der zunächst beauftragte Rechtsanwalt nicht zu diesem speziellen Personenkreis und träfe dies erst für den zweiten Rechtsanwalt zu, wäre die Wahl des ersten Rechtsanwalts nach der behaupteten Organisation ihrer außergerichtlichen und gerichtlichen Vertretung nicht verständlich. Gehörte der erste Rechtsanwalt dazu, beruhte die Wahl des zweiten – nicht dazu gehörenden – Rechtsanwalts nicht auf der geltend gemachten Organisationsstruktur. Gehörten beide Rechtsanwälte zu der Handvoll spezialisierter Kanzleien, beruhte der Wechsel allein auf dem Wunsch der Beklagten zu 1), nach weitgehend verlorener erster Instanz einen noch nicht mit der...