Leitsatz
Das ausführende Luftfahrtunternehmen braucht die Kosten für einen vom Fluggast mit der erstmaligen Geltendmachung einer Ausgleichsleistung wegen Annullierung oder großer Verspätung beauftragten Rechtsanwalt nicht zu erstatten, wenn es die in Art. 14 Abs. 2 FluggastrechteVO vorgesehenen Informationen erteilt hat.
BGH, Urt. v. 25.2.2016 – X ZR 35/15
1 Sachverhalt
Die Parteien streiten im Revisionsrechtszug noch um die Verpflichtung der Beklagten zur Erstattung von Rechtsanwaltskosten, die die Klägerin im Zusammenhang mit der vorgerichtlichen Geltendmachung einer Ausgleichszahlung entsprechend Art. 7 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 11.2.2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 296/91 (FluggastrechteVO) aufgewandt hat.
Die Klägerin buchte bei der Beklagten, deren Unternehmenssitz in der Republik I. liegt, für den 6.10.2013 einen – bestätigten – Flug von B. nach Ba. Die Ankunft dieses Fluges verzögerte sich infolge eines unstreitig in die Verantwortungssphäre der Beklagten fallenden Umstands um mehr als drei Stunden. Von der Klägerin beauftragte Rechtsanwälte machten gegenüber der Beklagten mittels E-Mail eine auf Art. 7 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1 Buchst. c) FluggastrechteVO gestützte Ausgleichszahlung über 250,00 EUR geltend und erhoben, nachdem die Beklagte nicht leistete, Klage, mit der sie für die Klägerin auch die Kosten ihrer vorprozessualen, auf der Grundlage einer 1,3-fachen Gebühr nach RVG VV 2300 berechneten Tätigkeit (83,54 EUR) beanspruchten. Die Beklagte ist vom AG in Höhe der Ausgleichszahlung gem. ihrem insoweit erklärten Anerkenntnis verurteilt worden. Im Übrigen hat das AG die Klage ab- und das LG die dagegen eingelegte, vom AG zugelassene Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Die vom LG zugelassene Revision der Klägerin wurde zurückgewiesen.
2 Aus den Gründen
I. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet: Soweit das ausführende Luftfahrtunternehmen nach dem Wortlaut von Art. 5 und 7 FluggastrechteVO einen Anspruch auf Ausgleichsleistungen einräume, begründe dies lediglich die sofortige Fälligkeit der jeweils geschuldeten Leistung. Die Voraussetzungen für den Eintritt von Verzug ergäben sich aus dem einschlägigen nationalen Recht, also aus § 286 BGB, lägen aber nicht vor. Mangels vorheriger Zahlungsaufforderung sei Verzug nicht nach § 286 Abs. 1 BGB eingetreten. Nach § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB könne zwar grundsätzlich Erstattung des aus der nicht vertragsgemäßen Beförderung entstandenen Schadens verlangt werden. Voraussetzung dafür sei jedoch, dass zwischen Verzug mit der Beförderungsleistung und eingetretenem Schaden ein unmittelbarer Zusammenhang bestehe. Daran fehle es in Bezug auf die geltend gemachten Rechtsanwaltsgebühren, weil die Beauftragung eines Rechtsanwalts mit der vorgerichtlichen Geltendmachung der Ausgleichszahlung ihre Grundlage gerade nicht in § 286 BGB habe, sondern in Art. 5 und 7 FluggastrechteVO. Die Voraussetzungen für einen Verzugseintritt nach § 286 Abs. 2 Nrn. 2 und 4 BGB lägen ebenfalls nicht vor. Ein Schadensersatzanspruch aus § 280 Abs. 1 BGB auf Erstattung der Rechtsanwaltskosten wegen nicht vertragsgemäßer, verspäteter Beförderung bestehe nicht, weil dieser nach § 280 Abs. 2 BGB nur unter der zusätzlichen Voraussetzung des § 286 BGB in Betracht komme.
II. Die gegen diese Beurteilung gerichteten Angriffe der Revision bleiben im Ergebnis ohne Erfolg.
1. Das Berufungsgericht hat seiner Beurteilung neben der unmittelbar geltenden Fluggastrechteverordnung (Art. 288 Abs. 2 AEUV) deutsches Recht zugrunde gelegt. Dagegen wenden die Parteien sich nicht und dies ist rechtlich auch nicht zu beanstanden. Die Voraussetzungen für die Leistung von Schadensersatz ergeben sich aus dem auf den Beförderungsvertrag anwendbaren Recht (vgl. BGH, Urt. v. 12.11.2009, RRa 2010, 34 Rn 17 f.; Urt. v. 28.8.2012, RRa 2012, 285 Rn 29). Aus den Regelungen der Fluggastrechteverordnung ergibt sich nämlich nicht, ob bzw. unter welchen Voraussetzungen Fluggästen ein Anspruch auf Erstattung vorgerichtlich für die Geltendmachung der Ausgleichsleistung entstandener Rechtsanwaltskosten gegen das ausführende Luftfahrtunternehmen zustehen könnte. Nach st. Rspr. des EuGH ist es in Ermangelung einer unionsrechtlichen Regelung stets Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung eines jeden Mitgliedstaats, die Modalitäten für Klagen festzulegen, die den Schutz der aus dem Unionsrecht erwachsenden Individualrechte gewährleisten sollen. Diese müssen den Äquivalenz- und den Effektivitätsgrundsatz wahren (vgl. zur Verjährung von Ausgleichsansprüchen nach der FluggastrechteVO EuGH, Urt. v. 22.11.2012, RRa 2013, 17 – Moré). Die Anwendbarkeit deutschen Rechts ergibt sich auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen aus Art. 5 Abs. 2 Rom-I-VO (vgl. BGH RRa 2012, 285 Rn 30).
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