ZPO §§ 124 Abs. 1 Nr. 2, 120a Abs. 4 S. 1
Leitsatz
- Das Tatbestandsmerkmal "soll" in § 124 Abs. 1 Nr. 2 ZPO ist dahingehend zu verstehen, dass die Aufhebung den Regelfall bildet, dem Gericht aber Spielraum für Ausnahmefälle bleibt.
- Ein Ausnahmetatbestand ist anzunehmen, wenn gegen den Vordruckzwang (§ 120a Abs. 4 S. 1 ZPO) verstoßen wird, die fortbestehende Bedürftigkeit aber offensichtlich oder nachgewiesen ist.
LAG Köln, Beschl. v. 23.2.2017 – 1 Ta 280/16
1 Aus den Gründen
Die gem. § 11 Abs. 1 RPflG i.V.m. §§ 127 Abs. 2 S. 2 u. 3, 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO, § 78 S. 1 ArbGG zulässige sofortige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Die Voraussetzungen für eine Aufhebung der Prozesskostenhilfe liegen nicht vor.
1. Das Gesetz sieht in § 124 Abs. 1 Nr. 2 ZPO, der gem. § 11a Abs. 1 ArbGG auch im arbeitsgerichtlichen Verfahren Anwendung findet, vor, dass das Gericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe aufheben soll, wenn eine Partei eine Erklärung nach § 120a Abs. 1 S. 3 ZPO nicht oder ungenügend abgegeben hatte.
a) Die gesetzliche Formulierung im Aufhebungstatbestand "soll" ist nach der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 17/11472, 34) dahingehend zu verstehen, dass die Aufhebung bei Vorliegen der genannten Voraussetzungen den Regelfall bildet, dem Gericht allerdings Spielräume für Ausnahmefälle verbleiben.
b) Einen Ausnahmetatbestand i.S.d. vorstehenden Gesetzesbegründung hat die Rspr. angenommen, wenn eine Prozesskostenhilfepartei zwar gegen den in § 120a Abs. 4 S. 1 ZPO angeordneten Vordruckzwang verstößt, die fortbestehende Bedürftigkeit aber offensichtlich oder nachgewiesen ist (LAG Berlin-Brandenburg 19.2.2015 – 10 Ta 228/15; LAG Hamm 25.1.2016 – 14 Ta 486/15). Zur Begründung der Ausnahme wird geltend gemacht, dass es sachlich nicht gerechtfertigt sei, wenn das Gericht lediglich wegen eines Formfehlers die Bedürftigkeit einer Prozesskostenhilfepartei ignorieren würde (LAG Berlin-Brandenburg a.a.O. Rn 14).
Dieser Rechtsauffassung schließt sich das erkennende Gericht für Ausnahmefälle an, bei denen die Bedürftigkeit auch ohne Zusammenstellung in dem Vordruck ohne Weiteres erkennbar ist. Diese eingeschränkte Handhabung des § 120a Abs. 4 S. 1 ZPO geht konform mit der Rspr. zu § 117 Abs. 4 ZPO (i.V.m. § 117 Abs. 3 ZPO) im Rahmen des Bewilligungsverfahrens. In diesem Bereich ist anerkannt, dass die Versagung von Prozesskostenhilfe unzulässig ist, wenn das Gericht sich – ungeachtet formaler Mängel – ein zuverlässiges Bild über die wirtschaftlichen Verhältnisse aus den vorgelegten Unterlagen machen kann (BGH 18.11.2009 – XII ZB 79/09, juris; Zöller/Geimer, ZPO, 31. Aufl., 2016, Rn 16).
2. Vorliegend hat das ArbG die Prozesskostenhilfe wegen Fehlens des Vordrucks aufgehoben, ohne zu prüfen, ob die am 16.8.2016 übersandten Unterlagen eine zuverlässige Einschätzung erlauben und daher ein Ausnahmefall vorliegt, der eine Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung nicht rechtfertigt.
3. Aus den von dem Kläger am 16.8.2016 übermittelten Unterlagen sowie weiteren im Verfahren vorgelegten Unterlagen ergibt sich, dass kein einzusetzendes Einkommen verfügbar ist.
AGS 10/2017, S. 483 - 484