ZPO § 91; RVG VV Nrn. 7003 ff.

Leitsatz

Reisekosten eines nicht im Bezirk des Gerichts niedergelassenen Anwalts sind bis zur höchstmöglichen Entfernung innerhalb des Gerichtsbezirks zu erstatten.

AG Frankfurt am Main, Beschl. v. 22.8.2017 – 30 C 2295/16 (20)

1 Aus den Gründen

Die Erinnerung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt. Sie ist auch begründet.

Die Absetzung von 16,80 EUR Reisekosten und 25,00 EUR Abwesenheitsgeld erfolgte zu Unrecht.

Grundlage der Erstattungspflicht ist § 91 Abs. 2 S. 1 ZPO, wonach Reisekosten eines Rechtsanwalts der obsiegenden Partei, der nicht in dem Bezirk des Prozessgerichts zugelassen ist und am Ort des Prozessgerichts auch nicht wohnt, nur insoweit zu erstatten sind, als die Zuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig war. Das Kriterium der Notwendigkeit wird in den seltensten Fällen erfüllt sein und ist jedenfalls äußerst schwierig zu begründen. Nach der Rspr. des BGH ist sie etwa dann zu bejahen, wenn es sich um einen Rechtsanwalt mit Spezialkenntnissen handelt, der am Wohn- oder Geschäftssitz der Parteien nicht zu finden ist, wohingegen langjährige Zusammenarbeit oder ein besonderes Vertrauensverhältnis zwischen Mandant und Rechtsanwalt die Hinzuziehung in der Regel nicht rechtfertigen (vgl. BGH MDR 2012, 312 [= AGS 2012, 434]; BGH MDR 2008, 946 und BGH, Beschl. v. 22.4.2008 – XI ZB 20/07, n.v.). So sind auch im vorliegenden Fall keine Gesichtspunkte vorgetragen, aus denen sich eine Notwendigkeit der Beauftragung des auswärtigen Prozessbevollmächtigten der Klägerin ergeben könnte. Entscheidungserheblich ist aber folgender Gesichtspunkt: Wenn eine Partei einen Anwalt außerhalb des Gerichtsbezirks beauftragt und die Notwendigkeit hierfür nicht dartun kann, würde dies zu einer Schiechterstellung auswärtiger Rechtsanwälte und überdies in Einzelfällen zu unbilligen Ergebnissen führen, nämlich insbesondere dann, wenn die einfache Distanz zwischen dem Gerichtsort und dem Kanzleisitz des auswärtigen Rechtsanwalts kürzer ist als diejenige zwischen dem Gerichtsort und dem von diesem am weitesten entfernt gelegenen Ort innerhalb des Gerichtsbezirks. Deshalb schließt sich das Gericht der Rspr. einer steigenden Zahl von Gerichten an, wonach die Kosten für die Einschaltung eines auswärtigen Rechtsanwalts bis zur Höhe der weitesten Entfernung innerhalb des Gerichtsbezirks erstattungsfähig sind, in dem der Prozess stattfindet bzw. stattfand (wie hier: Kostensenat des OLG Köln, Beschl. v. 25.11.2015 – 17 W 247/15, MDR 2016, 184 [= AGS 2016, 55]; OLG Frankfurt, Beschl. v. 23.3.2015 – 25 W 17/15 [= AGS 2017, 101]; LG Heilbronn, Beschl. v. 21.10.2016 – 8 Qs 31/16 [= AGS 2017, 102]; LG Düsseldorf NJW 2015, 498 [= AGS 2015, 7]; AG Kiel NJW-RR 2013, 892 [= AGS 2014, 8]; AG Frankfurt am Main, Beschl. v. 18.1.2017 – 30 C 594/16 [= AGS 2017, 257]; AG Marbach, Rpfleger 2014, 289 [= AGS 2014, 210]; Beck Online-Kommentar, ZPO, Jaspersen/Wache, 18. Edition, Stand 1.9.2015, § 91 Rn 168; Prütting/Gehrlein/Schneider, ZPO, 7. Aufl., § 91, Rn 5; Schons, NJW 2015, 500; Zöller/Herget, ZPO, 31. Aufl., § 91, Rn 13 "Reisekosten b) des Anwalts"; a.A. OLG Celle NJW 2015, 2670 [= AGS 2015, 442] u. OLG Frankfurt, Beschl. v. 16.11.2015 – 6 W 100/15 [= AGS 2016, 361], zitiert nach juris).

Die von der Rechtspflegerin in Bezug genommene Gegenmeinung der OLG Celle und Frankfurt (insoweit aber erkennbar nur des 6. Senats), die den vermeintlich gesetzlich gewollten Schutz von Partei und Rechtsanwalt im Gerichtsbezirk als Argument für die Nichterstattbarkeit der Reisekosten des auswärtigen Anwalts ins Feld führt, muss vor dem Hintergrund der Aufhebung der Zulassungsbeschränkungen für Rechtsanwälte als rechtlich verfehlt eingeordnet werden.

Nachdem die Erinnerungsführerin die Reisekosten ihres Prozessbevollmächtigten nach Maßgabe des Vorgesagten von vornherein nur bis zur Grenze des Gerichtsbezirks zur Festsetzung angemeldet hat, war der von der Rechtspflegerin zu Unrecht abgesetzte Betrag in Abänderung des Kostenfestsetzungsbeschlusses entsprechend festzusetzen.

Eine Kostentragungspflicht hinsichtlich der außergerichtlichen Kosten der Erinnerungsführerin zu Lasten der Beklagten war nicht festzustellen, da die Beklagte den fehlerhaften Kostenfestsetzungsbeschluss weder veranlasst noch verteidigt hat, mithin nicht als unterlegene Partei i.S.v. § 91 Abs. 1 ZPO angesehen werden kann.

AGS 10/2017, S. 492 - 493

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