§ 86 Abs. 1 S. 1 VVG; § 17 Abs. 9 ARB; § 199 Abs. 3 S. 1 Nr. 1, §§ 242, 675 BGB; Art. 229 § 6 Abs. 4 S. 1 EGBGB
Leitsatz
- Gem. § 86 VVG gehen auch Schadenersatzansprüche des Versicherungsnehmers gegen den Anwalt wegen fehlerhafter Prozessführung auf den Rechtsschutzversicherer über.
- Wissentlich wahrheitswidrige Angaben des Anwalts im Mahnbescheid – eine Gegenleistung sei bereits erbracht – lösen einen Schadensersatzanspruch aus, wenn dadurch die verjährungshemmende Wirkung entfällt.
- Auch eine fehlerhafte Berechnung der Anwaltsgebühren als Nebenforderung im Mahnbescheid, die zu einer verzögerten Zustellung und damit zum Eintritt der Verjährung führt, geht zu Lasten des Anwalts.
- Der Einwand, ein Prozess wäre ohnehin verloren gegangen, es sei daher kein Schaden entstanden, ist für den Prozesskostenschaden unerheblich.
- Ein Mitverschulden der Rechtsschutzversicherung liegt nicht vor.
LG Würzburg, Urt. v. 1.4.2021 – 12 O 2251/19
I. Sachverhalt
Die Klägerin, eine Rechtsschutzversicherung, macht Schadensersatzansprüche ihres Versicherungsnehmers aus übergegangenem Recht gegen den Beklagten, einen Rechtsanwalt, geltend. Der Beklagte hat als Anwalt des Versicherungsnehmers in einem zivilrechtlichen Verfahren Schadensersatzansprüche aufgrund einer behaupteten fehlerhaften Kapitalanlageberatung geprüft und geltend gemacht.
Kurz vor dem ihm bekannten Ablauf der Verjährungsfrist beantragte der Beklagte zur Verjährungsunterbrechung einen Mahnbescheid gegen die Anspruchsgegner, der die Rückzahlung der Anlagesumme zzgl. Nebenforderungen an den Versicherungsnehmer zum Gegenstand hatte.
Im Antragsformular gab der Beklagte an, dass die Gegenleistung bereits erbracht sei. In der nach Zustellung des Mahnbescheides eingereichten Anspruchsbegründung beantragte der Beklagte hingegen, die beiden Anspruchsgegner zur Rückzahlung der Beteiligungssumme Zug um Zug gegen Übertragung der Rechte und Pflichten aus der Beteiligung zu verurteilen.
Der Prozess ging verloren, die Ansprüche wurden wegen Verjährung abgewiesen. Der Mahnbescheid sei nicht rechtzeitig und auch nicht "demnächst" nach Eingang der Mahnanträge zugestellt worden. Bis zur Zustellung des Mahnbescheids lägen mehr als drei Monate, womit eine erhebliche Verzögerung vorliege. Die Verzögerung beruhe darauf, dass die geltend gemachten vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten unangemessen hoch gewesen seien und erst nach mehreren Monierungsschreiben dann plausible Werte vorgelegt wurden.
Selbst wenn, so das LG weiter, die Zustellung des Mahnbescheides noch "demnächst" erfolgt wäre, könne sich der Kläger wegen Rechtsmissbrauchs nicht auf die verjährungsunterbrechende Wirkung berufen, da in den Mahnanträgen wissentlich falsch angegeben worden sei, die geschuldete Leistung bereits erbracht zu haben, um die objektiv gebotene Zurückweisung der Mahnanträge zu vermeiden.
Die Klägerin bestätigte den Versicherungsschutz für die erste und für die vom Anwalt als erfolgversprechend angesehene Berufungsinstanz; für die Berufungsinstanz unter dem Vorbehalt der späteren Prüfung eines Schadenersatzes, da der Beklagte den Umstand des Ablaufs der Verjährungsfrist zu vertreten habe. Auch das Berufungsverfahren der Hauptsache blieb erfolglos.
Die Klägerin forderte sodann die Kosten von über 20.000,00 EUR der ersten und zweiten Instanz beim Beklagten zurück und stützt dies auf dessen schuldhafte vorsätzlich rechtsfehlerhafte Handlung, zumindest auch auf Fahrlässigkeit und damit schuldhaft i.S.d. § 276 BGB: Die Angabe, dass die Gegenleistung bereits erbracht sei und die Rechtsverfolgungskosten zu hoch geltend gemacht wurde und somit die Hemmung der Verjährung vereitelt wurde.
Eine Zahlung des Beklagten erfolgte nicht. Er berief sich u.a. darauf, dass die Ansprüche der Klägerin verjährt seien, da der Versicherungsnehmer bereits früher Kenntnis erlangt hatte. Dies müsste sich der Versicherer zurechnen lassen. Darüber hinaus hätte der Versicherer trotz der Kenntnis aller Umstände Kostenschutz für die Berufung erteilt.
II. Schadensersatzansprüche des Versicherungsnehmers gegen den Anwalt gehen auf den Rechtsschutzversicherer über
Die Klage der Rechtsschutzversicherung ist zulässig und begründet.
Gem. § 86 Abs. 1 S. 1 VVG, § 17 Abs. 9 ARB gehen Ansprüche des Versicherungsnehmers gegen Dritte auf Erstattung von Kosten, die der Versicherer getragen hat, mit ihrer Entstehung auf den Versicherer über. Das Gericht bejaht einen Schadensersatzanspruch des Versicherungsnehmers gegen den Beklagten wegen Verletzung der Pflichten aus dem geschlossenen Anwaltsvertrags. Von dem Forderungsübergang erfasst werden auch Schadenersatzansprüche des Versicherungsnehmers gegen seinen Rechtsanwalt wegen fehlerhafter Prozessführung, etwa bei einem Kostenschaden aufgrund der gerichtlichen Geltendmachung einer verjährten Forderung (OLG Köln, Urt. v. 29.6.1993 – 9 U 237/92, NJW-RR 1994, 27, 28; Armbrüster, in: Prölls/Martin, VVG. 30. Aufl., § 17 ARB 2010, Rn 59). Die Klägerin ist daher zur Geltendmachung eines Schadenersatzanspruchs wegen entstandener Prozesskosten aktiv legitimiert.
Ein Rechtsanwalt hat die Pflicht, keine kostenauslösenden rechtlichen Schritte zu ergreifen, die nich...