Entscheidungen des Großen Senats für Zivilsachen des BGH in Kostenfragen sind seltener als blaue Diamanten. Mögen die Senate des BGH in Kostenfragen abweichende Auffassungen untereinander vertreten, so scheuen sie die Anrufung des Großen Senats für Zivilsachen des BGH wie der Teufel das Weihwasser. Erinnert sei an die längere Zeit andauernden unterschiedlichen Entscheidungen verschiedener Zivilsenate zur Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr. Hier musste erst der Gesetzgeber durch Einführung des § 15a RVG dafür sorgen, dass sämtliche Zivilsenate des BGH die Frage der Anrechnung der Geschäftsgebühr richtig beurteilen.
Und nun hat der XI. ZS des BGH den Großen Senat für Zivilsachen in einer relativ unspektakulären Frage angerufen.
Der geneigte Leser dieser Entscheidung wird bei seiner ersten Beurteilung der Streitfrage zu dem Ergebnis kommen, es sei ihm letztlich egal, ob über einen Antrag auf Festsetzung des Gegenstandswertes der Einzelrichter des BGH oder der Senat in voller Besetzung entscheidet. In der Tat betrifft dies vielleicht rund zwei Dutzend Verfahren im Jahr.
Auf den zweiten Blick wird die über die Zuständigkeit für den Antrag auf Festsetzung des Gegenstandswertes weit hinausgehende Bedeutung der Entscheidung des Großen Senats für Zivilsachen des BGH erkennbar. Der Große Senat für Zivilsachen hat aus der Regelung in § 1 Abs. 3 RVG den eindeutig auch vom Gesetzgeber verfolgten Zweck der Vorschrift erkannt, dass sämtliche Verfahrensvorschriften des RVG denjenigen Verfahrensvorschriften des zugrunde liegenden Verfahrens, etwa der ZPO, des FamFG oder des GVG, vorgehen. Über den Wortlaut des § 1 Abs. 3 RVG hinaus gilt dies nicht nur für die dort ausdrücklich erwähnte Erinnerung und Beschwerde, sondern auch für Anträge.
Die Entscheidung des Großen Senats für Zivilsachen des BGH sollte auch den Gerichten anderer Gerichtsbarkeiten zu denken geben, die den Vorrang des § 1 Abs. 3 RVG negieren. Dies betrifft insbesondere das Verhältnis zu § 80 AsylG, wonach Entscheidungen in Rechtsstreitigkeiten nach diesem Gesetz – gemeint ist das AsylG – nicht mit der Beschwerde angefochten werden. Unter Hinweis auf diese Vorschrift sehen viele Gerichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit die nach dem RVG grds. gegebene Beschwerde als unzulässig an (so etwa Saarländisches OVG RVGreport 2020, 359 [Hansens]; VGH Baden-Württemberg AGS 2017, 346 = RVGreport 2017, 192 [Hansens] für die Beschwerde gegen die Festsetzung des Gegenstandswertes). Demgegenüber vertritt das OVG Berlin-Brandenburg (RVGreport 2020, 31 [Hansens] = AGS 2019, 525) zutreffend die Auffassung, dass der Beschwerdeausschluss in § 80 AsylG in Verfahren auf Festsetzung des Gegenstandswertes durch die Regelung in § 1 Abs. 3 RVG verdrängt wird. Ebenso zutreffend ist die Auffassung des Hess. VGH (AGS 2019, 530) und des OVG Berlin-Brandenburg (RVGreport 2016, 378 [Hansens] = AGS 2016, 534), wonach wegen des Vorrangs in § 1 Abs. 3 RVG die Beschwerde in Verfahren auf Festsetzung der PKH-Anwaltsvergütung nach § 56 Abs. 2 und 3 RVG ungeachtet des Beschwerdeausschlusses in § 80 AsylG zulässig ist. Ebenfalls richtig hat das OVG NRW (RVGreport 2015, 270 [Hansens] = AGS 2015, 251) entschieden, dass sich der Beschwerdeausschluss in § 80 AsylG nicht auf die Erinnerung gegen einen Kostenfestsetzungsbeschluss des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bezieht.
Demgegenüber verritt das OVG NRW (RVGreport 2016, 295 [Hansens] = AGS 2016, 443) die Auffassung, dass die Beschwerde im Verfahren auf Vergütungsfestsetzung nach § 11 RVG durch § 80 AsylG ausgeschlossen sei. Diese Auffassung ist schon eher haltbar, da § 11 RVG hinsichtlich der Rechtsbehelfe keine eigene Regelung im Vergütungsfestsetzungsverfahren trifft, sondern in § 11 Abs. 2 S. 3 RVG auf die Vorschriften der jeweiligen Verfahrensordnung über das Kostenfestsetzungsverfahren verweist. Diese Verfahrensvorschriften sind dann ungeachtet der Regelung in § 1 Abs. 3 RVG vorrangig. Allerdings kann man darüber streiten, ob § 80 AsylG überhaupt im Vergütungsfestsetzungsverfahren anwendbar ist, weil dort von dem Beschwerdeausschluss nur "Entscheidungen in Rechtsstreitigkeiten in diesem Gesetz", also dem AsylG, ausgeschlossen sind, während es im Vergütungsfestsetzungsverfahren um die Vergütung des Rechtsanwalts gegen seinen Auftraggeber geht.
VorsRiLG a.D. Heinz Hansens, Berlin
AGS 10/2021, S. 471 - 474