§§ 63 Abs. 3, 68 GKG
Leitsatz
Die Frist zur Streitwertbeschwerde für ein selbstständiges Beweisverfahren sowie die Frist zur Abänderung des Streitwerts von Amts wegen läuft unabhängig von einem etwaigen späteren Hauptsacheverfahren. Für den Beginn der Frist ist dabei mangels Eintritts eines rechtskräftigen Abschlusses auf seine anderweitige Erledigung abzustellen.
OLG Stuttgart, Beschl. v. 11.4.2024 – 3 W 76/23
I. Sachverhalt
Im zugrunde liegenden selbstständigen Beweisverfahren hatte das LG den Streitwert mit Beschl. v. 20.9.2017 auf die Wertstufe bis 290.000,00 EUR festgesetzt. Im Rahmen der Kostenfestsetzung im späteren Klageverfahren, dessen Streitwert in der Berufungsinstanz vom erkennenden Senat auf 364.160,30 EUR festgesetzt wurde, vertrat der Vertreter der Antragsteller mit Schriftsatz vom 17.3.2023 die Auffassung, dass der Streitwert des selbstständigen Beweisverfahrens mit dem Hauptsachewert anzusetzen sei. Zum Zeitpunkt des Beschl. v. 22.9.2017 im selbstständigen Beweisverfahren sei der tatsächliche Hauptsachewert noch nicht abzusehen gewesen. Das LG habe den Wert in seinem Urteil zutreffend abändernd auf 431.425,04 EUR festgesetzt; dieser sei daher für das selbstständige Beweisverfahren zu übernehmen und entsprechend festzusetzen. Das LG hat den Schriftsatz als Streitwertbeschwerde gegen den Beschl. v. 20.9.2017 ausgelegt. Es hat der Beschwerde nicht abgeholfen und die Akten dem OLG zur Entscheidung vorgelegt. Das OLG hat die Beschwerde zurückgewiesen.
II. Beschwerde ist unzulässig
Zu Recht und mit zutreffender Begründung, der sich der Senat anschließt, hat das LG jedoch entschieden, dass die Streitwertbeschwerde verfristet und damit unzulässig ist.
Gem. §§ 68 Abs. 1 S. 3 Hs. 1 i.V.m. 63 Abs. 3 S. 2 GKG ist eine Änderung des Streitwerts von Amts wegen nur innerhalb von sechs Monaten zulässig, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat.
Ob in diesem Zusammenhang bei einem selbstständigen Beweisverfahren für den Fristbeginn stets auf dessen Beendigung abzustellen ist, ist in der Rspr. und im Schrifttum sehr umstritten. Eine in jüngerer Zeit im Vordringen befindliche Auffassung vertritt inzwischen diesen Ansatz (vgl. OLG Köln, Beschl. v. 4.3.2013 – 16 W 41/12, AGS 2013, 180; OLG München, Beschl. v. 27.1.2021 – 9 W 100/21; OLG Zweibrücken, Beschl. v. 3.2.2023 – 4 W 4/23; OLG Brandenburg, Beschl. v. 17.10.2018 – 11 W 24/18; BeckOK KostR/Jäckel, 44. Ed., Stand: 1.1.2024, GKG § 63 Rn 31; Binz/Dörndorfer/Zimmermann/Dörndorfer, GKG, 5. Aufl., 2021, § 63 Rn 10; OLG Frankfurt, Beschl. v. 30.1.1997 – 21 W 4/97). Nach der Gegenansicht soll es auf den (in der Regel rechtskräftigen) Abschluss eines parallel laufenden bzw. nachfolgenden Klageverfahrens ankommen, selbst wenn daran lediglich ein Antragsteller und ein Streithelfer beteiligt sind (so KG, Beschl. v. 23.8.2002 – 4 W 219/01, AGS 2003, 216; OLG Stuttgart, Beschl. v. 4.2.2015 – 10 W 3/15; Toussaint/Toussaint, KostR, 53. Aufl., 2023, GKG § 63 Rn 81), während eine vermittelnde Auffassung darauf abstellt, ob ein solches Streitverfahren tatsächlich durchgeführt bzw. angestrengt wird (so früher OLG Brandenburg an der Havel, Beschl. v. 17.1.2005 – 13 W 77/04; wohl auch Zöller/Herget, ZPO, 35. Aufl., 2024, § 492 Rn 4).
Der Senat schließt sich der – inzwischen wohl überwiegenden – Auffassung an, nach welcher es die vom Gesetzgeber vorgesehene Eigenständigkeit des selbstständigen Beweisverfahrens rechtfertigt und insbesondere der Gesichtspunkt der Rechts- und Kostensicherheit sogar erfordert, das selbstständige Beweisverfahren mit Blick auf den Beginn der Abänderungssperrfrist des § 63 Abs. 3 S. 2 GKG isoliert zu betrachten (OLG Brandenburg an der Havel, Beschl. v. 17.10.2018 – 11 W 24/18, juris Rn4; ausführl. OLG Köln, a.a.O., juris Rn 7). Den Streitwert für ein selbstständiges Beweisverfahren von der Zufälligkeit eines sich möglicherweise anschließenden Klageverfahrens abhängig zu machen, erscheint nicht überzeugend. Der Antragsteller eines selbstständigen Beweisverfahrens muss sein Kostenrisiko wenigstens ungefähr einschätzen können, bspw. um zu entscheiden, ob er es fortführen oder beenden will. Würde man auf den Zeitpunkt der Rechtskraft des Hauptsacheverfahrens abstellen, wäre das Kostenrisiko kaum ex ante einzuschätzen (OLG München, Beschl. v. 27.1.2021, a.a.O.). Die Anknüpfung an den Streitwert des Klageverfahrens ermöglicht auch entgegen der Gegenauffassung keine zuverlässigere Bestimmung des Kostenstreitwerts, da die Streitwerte des selbstständigen Beweisverfahrens und eines Klageverfahrens etwa durch Teilvergleiche aufgrund des selbstständigen Beweisverfahrens oder Erhöhung bzw. Ermäßigung einer Klage keineswegs identisch sein müssen. Im Hauptsacheverfahren können auch – wie vorliegend – weitere Gutachten und sogar weitere Mängelkomplexe hinzutreten. Das selbstständige Beweisverfahren ist auch nicht kraft Gesetzes ein bloßes Nebenverfahren des Erkenntnisverfahrens, sondern ein – wie der Name schon sagt – selbstständiges Verfahren, das den Parte...