Leitsatz (amtlich)
1. Das selbständige Beweisverfahren ist mit Blick auf den Beginn der Abänderungssperrfrist des § 63 Abs. 3 Satz 2 GKG und die Rechtsmittelfrist nach § 68 Abs. 1 S. 3 GKG isoliert von einer etwaigen späteren Hauptsache zu betrachten.
2. Da ein selbständiges Beweisverfahren nicht rechtskräftig abgeschlossen werden kann, kommt es im Sinne von § 63 Abs. 3 Satz 2 GKG auf seine anderweitige Erledigung an.
Normenkette
GKG § 63 Abs. 3 S. 2, § 68 Abs. 1 S. 3
Verfahrensgang
LG Stuttgart (Beschluss vom 20.09.2017; Aktenzeichen 17 OH 14/11) |
Tenor
Die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers gegen den Beschluss des Landgerichts Stuttgart vom 20.09.2017, Az. 17 OH 14/11, wird zurückgewiesen.
Gründe
I. Im vorliegenden selbständigen Beweisverfahren wurde der Streitwert mit Beschluss vom 20.09.2017 auf bis 290.000 EUR festgesetzt.
Im Rahmen der Kostenfestsetzung im späteren Klageverfahren (Az.: 17 O 996/14), dessen Streitwert in der Berufungsinstanz vom erkennenden Senat auf 364.160,30 EUR festgesetzt wurde (Az.: 3 U 271/21), vertrat der Vertreter der Antragstellerin mit Schriftsatz vom 17.03.2023 die Auffassung, dass der Streitwert des selbständigen Beweisverfahrens mit dem Hauptsachewert anzusetzen sei (Bl. 9 d. eA). Zum Zeitpunkt des Beschlusses vom 22.09.2017 im Beweissicherungsverfahren sei der tatsächliche Hauptsachewert noch nicht abzusehen gewesen. Das Landgericht habe den Wert in seinem Urteil zutreffend abändernd auf 431.425,04 EUR festgesetzt; dieser sei daher für das selbständige Beweisverfahren zu übernehmen und entsprechend festzusetzen.
Das Landgericht hat den Schriftsatz als Streitwertbeschwerde gegen den Beschluss vom 20.09.2017 ausgelegt. Es hat der Beschwerde nicht abgeholfen und die Akten dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Streitwertbeschwerde sei wegen Ablaufs der in § 63 Abs. 3 S. 2 GKG, auf den § 68 Abs. 1 S. 3 Hs. 1 GKG verweist, bestimmten Frist unzulässig. Bei selbständigen Beweisverfahren beginne diese Frist mit Beendigung dieses Verfahrens, ohne dass es auf die Rechtshängigkeit eines späteren Hauptsacheverfahrens und dessen Beendigung ankomme.
Die Akten des selbständigen Beweisverfahrens wurden übersandt. Trotz mehrfacher Nachfrage konnten die Akten des erstinstanzlichen Hauptsacheverfahrens 17 O 996/14 nicht vom Landgericht erlangt werden. Die elektronisch geführte Berufungsakte lag vor. Der Schriftsatz vom 17.03.2023 wurde dem Senat auf Anfrage vom Beschwerdeführer übermittelt. Eine Entscheidung des Senats ist aufgrund dieser Unterlagen möglich.
II. 1. Die Beschwerde ist nach §§ 68, 63 GKG i.V.m. § 32 Abs. 2 S. 1 GKG statthaft. Dem Antragstellervertreter, der eine Heraufsetzung des Streitwerts anstrebt, steht diese Möglichkeit aus eigenem Recht nach § 32 Abs. 2 S. 1 GKG zu.
Das Landgericht hat den Schriftsatz auch zutreffend als Beschwerde gegen die Streitwertfestsetzung im selbständigen Beweisverfahren ausgelegt, nachdem die Streitwertfestsetzung im Urteil des Hauptsacheverfahrens keine Abänderung bezüglich jenes vorangegangenen Verfahrens enthielt.
2. Zu Recht und mit zutreffender Begründung, der sich der Senat anschließt, hat das Landgericht jedoch entschieden, dass die Streitwertbeschwerde verfristet und damit unzulässig ist.
Gemäß §§ 68 Abs. 1 S. 3 Hs. 1 i.V.m. 63 Abs. 3 S. 2 GKG ist eine Änderung des Streitwerts von Amts wegen nur innerhalb von sechs Monaten zulässig, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat.
Ob in diesem Zusammenhang bei einem selbständigen Beweisverfahren für den Fristbeginn stets auf dessen Beendigung abzustellen ist, ist in der Rechtsprechung und im Schrifttum sehr umstritten. Eine in jüngerer Zeit im Vordringen befindliche Auffassung vertritt inzwischen diesen Ansatz, vgl. OLG Köln, Beschluss vom 4. März 2013 - 16 W 41/12 -, juris; OLG München, Beschluss vom 27. Januar 2021 - 9 W 100/21 -, juris; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 3. Februar 2023 - 4 W 4/23 -, juris; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 17. Oktober 2018 - 11 W 24/18 -, juris; BeckOK KostR/Jäckel, 44. Ed. 1.1.2024, GKG § 63 Rn. 31; Binz/Dörndorfer/Zimmermann/Dörndorfer, 5. Aufl. 2021, GKG § 63 Rn. 10; OLG Frankfurt, Beschluss vom 30. Januar 1997 - 21 W 4/97 -, juris. Nach der Gegenansicht soll es auf den (in der Regel rechtskräftigen) Abschluss eines parallel laufenden beziehungsweise nachfolgenden Klageverfahrens ankommen, selbst wenn daran lediglich ein Antragsteller und ein Streithelfer beteiligt sind (so KG Berlin, Beschluss vom 23. August 2002 - 4 W 219/01 -, juris; OLG Stuttgart, Beschluss vom 4. Februar 2015 - 10 W 3/15 -, juris; Toussaint/Toussaint, 53. Aufl. 2023, GKG § 63 Rn. 81), während eine vermittelnde Auffassung darauf abstellt, ob ein solches Streitverfahren tatsächlich durchgeführt bzw. angestrengt wird (so früher Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 17. Januar 2005 - 13 W 77/04 -, juris; wohl auch Zöller/Herget, ZPO, 35. Aufl. 2024, ...