§ 45 RVG; Nr. 6300 VV RVG
Leitsatz
- Dem nach § 62d AufenthG gerichtlich bestellten Verfahrensbevollmächtigten steht ein Vergütungsanspruch nach § 45 Abs. 3 S. 1 RVG gegen die Staatskasse zu.
- Bei der Anordnung von Sicherungshaft handelt es sich um eine aufgrund von Bundesrecht nach §§ 62 Abs. 3, 106 Abs. 2 S. 1 AufenthG angeordnete Freiheitsentziehung i.S.v. § 415 FamFG. Insofern kann der beigeordnete Rechtsanwalt für seine Tätigkeit Gebühren nach Teil 6 Abschnitt 3 VV verlangen.
AG Stuttgart, Beschl. v. 10.7.2024 – 527 XIV 271/24
I. Sachverhalt
Das Regierungspräsidium Karlsruhe hatte als zuständige Ausländerbehörde mit Antrag vom 4.3.2024 die Anordnung von Sicherungshaft gem. §§ 62 Abs. 3, 106 Abs. 2 AufenthG i.V.m. § 417 FamFG gegen den Betroffenen zur Sicherung der beabsichtigten Abschiebung beantragt. Gem. des mit Gesetz zur Verbesserung der Rückführung zum 27.2.2024 in Kraft getretenen § 62d AufenthG wurde dem Betroffenen mit Beschl. v. 4.3.2024 Rechtsanwalt S als anwaltlicher Vertreter bestellt. Der Betroffene wurde am selben Tage in Anwesenheit des bevollmächtigten Rechtsanwalts persönlich angehört, ehe das AG mit Beschl. v. selben Tage antragsgemäß die Sicherungshaft gegen den Betroffenen anordnete. Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Bevollmächtigten wurde durch das LG Stuttgart zurückgewiesen.
Mit Schreiben vom 5.3.2024 beantragte der Bevollmächtigte die Festsetzung einer Verfahrensgebühr nach Nr. 6300 VV, einer Terminsgebühr nach Nr. 6301 VV sowie der Post- und Telekommunikationspauschale nach Nr. 7002 VV nebst Umsatzsteuer nach Nr. 7008 VV i.H.v. insgesamt 556,92 EUR.
Mit Beschl. v. 22.5.2024 setzte die Urkundsbeamtin die Vergütung antragsgemäß fest. Der Bezirksrevisor erhob hiergegen mit Schreiben vom selben Tag Erinnerung und führte zur Begründung aus, es bestünde mangels gesetzlicher Regelung kein Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse. Eine Beiordnung nach § 62d AufenthG führe nicht zwangsläufig zu einem Vergütungsanspruch. Die bestehende Regelungslücke sei auch nicht planwidrig, nachdem der Rechtsausschuss des Bundesrates in seiner Stellungnahme vom 2.2.2024 (BR-Drucks 21/1/24) auf diese hingewiesen habe. Die Urkundsbeamtin half der Erinnerung nicht ab und legte diese mit Verfügung vom 22.5.2024 dem Gericht zur Entscheidung vor.
II. Vergütungsgrundlage § 45 RVG
Die Erinnerung ist nach Auffassung des AG unbegründet. Dem anwaltlichen Vertreter stehe nach § 45 Abs. 3 S. 1 RVG ein Vergütungsanspruch gegen die Landeskasse zu. Demnach erhalte ein sonst gerichtlich bestellter oder beigeordneter Rechtsanwalt Vergütung aus der Landeskasse, wenn ein Gericht des Landes den Rechtsanwalt bestellt oder beigeordnet habe. Dies sei vorliegend der Fall, da der bevollmächtigte Rechtsanwalt durch gerichtlichen Beschl. v. 4.3.2024 beigeordnet worden sei.
1. Auffangnorm
Soweit der Vertreter der Staatskasse auf die Stellungnahme des Rechtsausschusses des Bundesrates verweise, wonach es an einer gesetzlichen Vergütungsregelung fehle, sei dies im Ergebnis unzutreffend. Zwar fehle es augenscheinlich an einer spezialgesetzlichen Regelung hinsichtlich der Vergütung von nach § 62d AufenthG bestellten Rechtsanwälten, jedoch bilde § 45 Abs. 3 RVG eine Auffangnorm bezüglich der Vergütung gerichtlich bestellter Rechtsanwälte. Demnach sowie auch im Hinblick auf die Vergütung der nach anderen Vorschriften gerichtlich bestellten Rechtsanwälte, die ebenfalls nach § 45 Abs. 3 RVG erfolge (z.B. Beiordnungen nach § 78 FamFG, §§ 68b Abs. 2, 141, 364b Abs. 1, 397a, 408b StPO, §§ 40 Abs. 2, 53 Abs. 2 IRG), erscheine der deutschen Rechtsordnung eine gerichtliche Beiordnung eines Rechtsanwalts ohne entsprechenden Vergütungsanspruch grds. fremd.
Eine Beiordnung ohne Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse werde ausnahmsweise im Falle einer Beiordnung nach § 78b ZPO vertreten (vgl. Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, RVG, 26. Aufl., 2023, § 45 Rn 136; a.A.: HK-RVG/Kießling, 8. Aufl., 2021, § 45 Rn 45, 46). Diesbezüglich sei jedoch zu sehen, dass der Notanwalt nach § 78b ZPO sein Tätigwerden von der Zahlung eines Vorschusses abhängig machen könne (§ 78c Abs. 2 ZPO) und insofern ausreichend abgesichert sei. An einer entsprechenden Sicherung fehle es bei der vorliegenden Beiordnung nach § 62d AufenthG hingegen.
Sämtlichen genannten Beiordnungsvorschriften, die in der Folge einen Vergütungsanspruch nach § 45 Abs. 3 RVG begründen, sei überdies der Sinn und Zweck gemein, dem Betroffenen eine angemessene Wahrnehmung seiner Rechte zu ermöglichen. Selbige Erwägung habe gleichfalls der Einführung des § 62d AufenthG zugrunde gelegen (vgl. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Inneres und Heimat des Bundestages vom 17.1.2024; BT-Drucks 20/10090). Gründe, die dafür sprächen, die Vergütung eines nach § 62d AufenthG beigeordneten Rechtsanwalts anders handzuhaben, seien indes nicht ersichtlich.
2. Bundesrat verkennt Funktion als Auffangnorm
Soweit der Rechtsausschuss des Bundesrates in seiner Stellungnahme ausführe, weder in den §§ 39, 41 RVG noch in § 45 RVG werde ausdrücklich auf § 62d AufenthG Bezug genommen, verkenne ...