Die Rechtspflegerin hat zutreffend für die Tätigkeit der Prozessbevollmächtigten der Beklagten im Berufungsverfahren eine 1,6-Verfahrensgebühr nach der Nr. 3200 VV festgesetzt.

1. Die Prozessbevollmächtigten der Beklagten haben zwar einen Antrag auf Zurückweisung der Berufung der Klägerin angekündigt, bevor diese begründet worden war. Eine derart "voreilige" Stellung eines Antrags auf Zurückweisung der Berufung hat nach der Rspr. des BGH und des Senats grundsätzlich zur Folge, dass nur die Erstattung einer ermäßigten 1,1-Verfahrensgebühr gem. Anm. Nr. 1 zu Nr. 3201 VV verlangt werden kann (BGH NJW 2003, 2992 = FamRZ 2003, 1461; Senat JurBüro 1994, 93 und JurBüro 2004, 380; AGS 2005, 520 = NJW-RR 2006, 503 = FamRZ 2006, 221; ebenso BAG NJW 2003, 3796). Die Berufungsbeklagte kann sich nämlich mit Inhalt und Umfang des Angriffs auf das erstinstanzliche Urteil erst dann sachlich auseinandersetzen und durch einen entsprechenden Gegenantrag sowie dessen Begründung das Verfahren fördern, wenn bereits eine Berufungsbegründung vorliegt (BGH NJW 2007, 3723 = FamRZ 2007, 1735 = MDR 2007, 1397).

2. Wenn aber – wie im vorliegenden Fall – das Rechtsmittel nach dem verfrühten Zurückweisungsantrag durch den Rechtsmittelführer noch begründet und die Berufung anschließend durch das Berufungsgericht nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen wird, kommt es nach der Rspr. des BGH für die Erstattungsfähigkeit der 1,6-Verfahrensgebühr nach Nr. 3200 VV nicht darauf an, ob der Rechtsmittelgegner den verfrüht gestellten Antrag wiederholt oder noch eine Rechtsmittelerwiderung abgegeben hat. Für die Erstattungsfähigkeit der angefallenen Kosten ist die zeitliche Reihenfolge der jeweiligen Anträge nämlich nach Meinung des BGH ohne Belang (BGH NJW 2009, 2220 = MDR 2009, 771 = FamRZ 2009, 1047; BGH JurBüro 2010, 649 = MDR 2010, 1157 = AGS 2010, 513; BGH AGS 2011, 44; BGH, Beschl. v. 5.4.2011 – II ZB 3/10; ebenso OLG Hamburg MDR 2003, 1318; OLG Oldenburg JurBüro 2007, 208, 209; OLG Stuttgart JurBüro 2007, 36; OLG Zweibrücken FamRZ 2007, 846; Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, RVG, 19. Aufl., VV 3200 Rn 44).

a) Der Senat hatte sich in seiner bisherigen Rspr. dieser Auffassung nicht angeschlossen, sondern hat in den Fällen, in denen der Prozessbevollmächtigte des Rechtsmittelgegners zunächst einen verfrühten Zurückweisungsantrag gestellt, dann aber nach Zugang der Berufungsbegründung keine weitere Tätigkeit entfaltet hatte, nur eine ermäßigte 1,1-Verfahrensgebühr nach der Nr. 3201 VV als erstattungsfähig angesehen. Der Senat hat dies damit begründet, dass der erstattungsrechtlich unbeachtliche Sachantrag nicht aufgrund der späteren prozessualen Entwicklung (Eingang der Berufungsbegründung) geheilt werden und so einen Erstattungsanspruch auslösen könne (Senat NJW-RR 2006, 503 = FamRZ 2006, 221 = AGS 2005, 520 = OLGR 2006, 78; Senatsbeschl. v. 29.9.2009 – 11 W 2245/09 – u. v. 16.12.2009 – 11 W 2690/09; ebenso OLG Düsseldorf OLGR 2003, 478).

b) An dieser Auffassung hält der Senat in Anbetracht der entgegenstehenden Rspr. des BGH und zahlreicher Oberlandesgerichte im Interesse der Einheitlichkeit der Rspr. und der Rechtssicherheit jedoch nicht mehr fest. Damit ist im vorliegenden Fall von der Rechtspflegerin zutreffend eine 1,6-Verfahrensgebühr festgesetzt worden.

Mitgeteilt vom 11. Zivilsenat des OLG München

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