BGB §§ 119 Abs. 1, 121 Abs. 1, 143 Abs. 1 ZPO §§ 122 Abs. 1 Nr. 1a, 123 GKG §§ 29 Nr. 1 und 2, 31 Abs. 3
Leitsatz
Übernimmt die mit Prozesskostenhilfe prozessierende Partei in einem gerichtlichen Vergleich die Gerichtskosten, kann sie den Prozessvergleich später nicht wegen Irrtums anfechten, wenn sie dem Prozessgegner Gerichtskosten zu erstatten hat, die dieser verauslagt hat.
OLG Hamm, Beschl. v. 17.5.2011 – I-28 U 60/10
1 Sachverhalt
Die Klägerin hatte Minderung des Kaufpreises für ein gebrauchtes Wohnmobil verlangt. Die Klage hatte in erster Instanz in Höhe von 2.199,91 EUR Erfolg. Zur Abwehr der von der Beklagten eingelegten und von ihrer Streithelferin begründeten Berufung hat der Senat der Klägerin Prozesskostenhilfe bewilligt. Im Senatstermin schlossen die Parteien sowie die Streithelferin der Beklagten einen Prozessvergleich, wonach sich die Parteien darüber einig waren, dass keine wechselseitigen Ansprüche bestehen. Die Beklagte und ihre Streithelferin verzichteten auf Erstattung ihrer außergerichtlichen Kosten. Die Kosten des Vergleichs trugen jede Partei und die Streithelferin der Beklagten selbst. Die übrigen Kosten des Rechtsstreits sollte vereinbarungsgemäß die Klägerin tragen (Nr. 3c der Vergleichsvereinbarung).
Wegen der Gerichtskosten nahm die Oberjustizkasse die Beklagte als Zweitschuldnerin in Anspruch. Die Beklagte entrichtete die Gerichtskosten und stellte deshalb einen Kostenfestsetzungsantrag gegen die Klägerin. Entsprechend setzte der Rechtspfleger gegen die Klägerin unter anderem 3.545,16 EUR Gerichtskosten fest, im Wesentlichen Sachverständigenkosten.
Hiernach erklärte die Klägerin die Anfechtung des Vergleichs und beantragte, das Verfahren fortzusetzen. Zur Begründung führte sie aus, dass sie und ihre Prozessbevollmächtigten nicht erkannt hätten, für Gerichtskosten einstehen zu müssen. Gleichzeitig beantragte sie die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das weitere Verfahren.
Das OLG hat den Antrag zurückgewiesen.
2 Aus den Gründen
Der Antrag der Klägerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Fortsetzung des Berufungsverfahrens ist mangels hinreichender Aussicht auf Erfolg abzulehnen (§ 114 S. 1 ZPO).
Beruft sich ein Beteiligter nach Abschluss eines gerichtlichen Vergleichs mit einem Antrag auf Fortsetzung des Verfahrens auf eine im Wege der Irrtumsanfechtung rückwirkend herbeigeführte Nichtigkeit des Prozessvergleichs, hat das bisher mit der Sache befasste Gericht hierüber zu befinden. Wenn es die Nichtigkeit als gegeben ansieht, hat es in dem dann anhängig gebliebenen Rechtsstreit über die Berechtigung der ursprünglich geltend gemachten Ansprüche zu entscheiden (BGH, Urt. v. 3.12.1980 – VIII ZR 274/79, BGHZ 79, 71, 79 f.). Ist der Vergleich hingegen wirksam, ist die Fortsetzung des Verfahrens hingegen zu versagen (BGH, Beschl. v. 18.9.1996 – VIII ZB 28/96, NJW 1996, 3345, unter 2 a bb). Die weiteren Kosten treffen in diesem Fall denjenigen, der die Unwirksamkeit des Vergleichs geltend gemacht hat (Zöller/Stöber, ZPO, 28. Aufl., § 794 Rn 15a).
Die erklärte Anfechtung des Prozessvergleichs hat nicht gem. § 142 Abs. 1 BGB zur rückwirkenden Nichtigkeit des Vergleichs geführt. Weder liegt ein zur Anfechtung berechtigender Irrtum vor (1.), noch hat die Klägerin die Anfechtung unverzüglich erklärt (2.).
1. Gem. § 119 Abs. 1 BGB kann derjenige, der bei der Abgabe einer Willenserklärung über deren Inhalt im Irrtum war (Inhaltsirrtum) oder eine Erklärung dieses Inhalts überhaupt nicht abgeben wollte (Erklärungsirrtum), die Erklärung anfechten, wenn anzunehmen ist, dass er sie bei Kenntnis der Sachlage und bei verständiger Würdigung des Falls nicht abgegeben hätte. Im vorliegenden Fall kommt allein ein Irrtum über den Inhalt der Erklärung in Betracht.
a) Bei einem Inhaltsirrtum entspricht zwar der äußere Tatbestand dem Willen des Erklärenden, dieser irrt sich jedoch über die Bedeutung oder die Tragweite seiner Erklärung. Nicht als Inhaltsirrtum anfechtbar sind Erklärungen, die auf einem im Stadium der Willensbildung unterlaufenden Irrtum im Beweggrund (Motivirrtum) beruhen (BGH, Beschl. v. 5.6.2008 – V ZB 150/07, BGHZ 177, 62). Ebenso wenig lässt sich im Grundsatz ein Anfechtungsrecht aus einer Fehlvorstellung über die Rechtsfolgen herleiten, die sich nicht aus dem Inhalt der Erklärung ergeben, sondern kraft Gesetzes eintreten (Rechtsfolgenirrtum; BGH, a.a.O.). Ein Rechtsfolgenirrtum berechtigt als Inhaltsirrtum nur dann zur Anfechtung, wenn das vorgenommene Rechtsgeschäft wesentlich andere als die beabsichtigten Rechtswirkungen erzeugt. Der nicht erkannte Eintritt zusätzlicher und mittelbarer Rechtswirkungen oder Nebenfolgen, die zu den gewollten und eingetretenen Rechtsfolgen hinzutreten, ist demgegenüber als bloßer Motivirrtum unbeachtlich (BGH, a.a.O.; BGH, Beschl. v. 5.7.2006 – IV ZB 39/05, BGHZ 168, 210, Rn 19; BGH, Urt. v. 10.7.2002 – VIII ZR 199/01, NJW 2002, 3100, unter II 1 f; Erman/Palm, BGB, 12. Aufl., § 119 Rn 37; MüKo-BGB/Kramer, 5. Aufl., § 119 Rn 86; Palandt/Ellenberger, BGB, 70. Aufl., § 119 Rn 15 f.). Danach ist ...