Leitsatz (amtlich)
Übernimmt die mit Prozesskostenhilfe prozessierende Partei in einem gerichtlichen Vergleich die Gerichtskosten, kann sie den Prozessvergleich später nicht wegen Irrtums anfechten, wenn sie dem Prozessgegner Gerichtskosten zu erstatten hat, die dieser verauslagt hat.
Normenkette
BGB § 119 Abs. 1, § 121 Abs. 1, § 143 Abs. 1; ZPO § 122 Abs. 1 Nr. 1a, § 123; GKG § 29 Nrn. 1-2, § 31 Abs. 3
Verfahrensgang
LG Bielefeld (Aktenzeichen 18 O 19/09) |
Tenor
Der Antrag der Klägerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Fortsetzung des Berufungsverfahrens wird zurückgewiesen.
Gründe
I. Die Klägerin hat Minderung des Kaufpreises für ein gebrauchtes Wohnmobil verlangt. Die Klage hatte in erster Instanz i.H.v. 2.199,91 EUR Erfolg. Zur Abwehr der von der Beklagten eingelegten und von ihrer Streithelferin begründeten Berufung hat der Senat der Klägerin Prozesskostenhilfe bewilligt. Im Senatstermin vom 28.10.2010 schlossen die Parteien sowie die Streithelferin der Beklagten einen Prozessvergleich, wonach sich die Parteien darüber einig waren, dass keine wechselseitigen Ansprüche bestehen. Die Beklagte und ihre Streithelferin verzichteten auf Erstattung ihrer außergerichtlichen Kosten. Die Kosten des Vergleichs trugen jede Partei und die Streithelferin der Beklagten selbst. Die übrigen Kosten des Rechtsstreits sollte vereinbarungsgemäß die Klägerin tragen (Nr. 3c der Vergleichsvereinbarung).
Wegen der Gerichtskosten nahm die Oberjustizkasse die Beklagte durch Rechnung vom 17.11.2010 als Zweitschuldnerin in Anspruch. Die Beklagte entrichtete die Gerichtskosten und stellte deshalb am 10.12.2010 einen Kostenfestsetzungsantrag gegen die Klägerin. Mit Verfügung vom 20.12.2010 gab der Rechtspfleger den Kostenfestsetzungsantrag den Prozessbevollmächtigten der Klägerin zur Kenntnis. Diese beantragten mit Schriftsatz vom 28.12.2010 urlaubsbedingt eine Stellungnahmefrist bis zum 11.1.2011 (Bl. 553 d.A.). Mit Schriftsatz vom 11.1.2011 bat die Sachbearbeiterin krankheitsbedingt um eine weitere Fristverlängerung bis zum 18.1.2011 (Bl. 555 d.A.). Am 18.1.2011 stellten die Prozessbevollmächtigten der Klägerin einen auf Erstattung außergerichtlicher Kosten gerichteten Kostenausgleichungsantrag, den sie später zurücknahmen.
Durch Kostenfestsetzungsbeschluss vom 10.2.2011 setzte der Rechtspfleger gegen die Klägerin u.a. 3.545,16 EUR Gerichtskosten fest, im Wesentlichen Sachverständigenkosten. Der Beschluss wurde den Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 16.2.2011 zugestellt.
Mit Schriftsatz vom 31.3.2011, bei Gericht eingegangen am 1.4.2011, beantragten die Prozessbevollmächtigten der Klägerin das Verfahren fortzusetzen und führten zur Begründung aus, dass die Klägerin und ihre Prozessbevollmächtigten nicht erkannt hätten, für Gerichtskosten einzustehen zu müssen. Aufgrund einer "starken persönlichen Krise, bei der es darum gegangen sei, "inwieweit das Kind bei den Eltern verbleiben" könne, sei es ihren Prozessbevollmächtigten erst Mitte März gelungen, Kontakt aufzunehmen.
II. Der Antrag der Klägerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Fortsetzung des Berufungsverfahrens ist mangels hinreichender Aussicht auf Erfolg abzulehnen (§ 114 Satz 1 ZPO).
Beruft sich ein Beteiligter nach Abschluss eines gerichtlichen Vergleichs mit einem Antrag auf Fortsetzung des Verfahrens auf eine im Wege der Irrtumsanfechtung rückwirkend herbeigeführte Nichtigkeit des Prozessvergleichs, hat das bisher mit der Sache befasste Gericht hierüber zu befinden. Wenn es die Nichtigkeit als gegeben ansieht, hat es in dem dann anhängig gebliebenen Rechtsstreit über die Berechtigung der ursprünglich geltend gemachten Ansprüche zu entscheiden (BGH, Urt. v. 3.12.1980 - VIII ZR 274/79, BGHZ 79, 71, 79 f.). Ist der Vergleich hingegen wirksam, ist die Fortsetzung des Verfahrens hingegen zu versagen (BGH, Beschl. v. 18.9.1996 - VIII ZB 28/96, NJW 1996, 3345, unter 2a bb). Die weiteren Kosten treffen in diesem Fall denjenigen, der die Unwirksamkeit des Vergleichs geltend gemacht hat (Zöller/Stöber, ZPO, 28. Aufl., § 794 Rz. 15a).
Die mit Schriftsatz vom 31.3.2011 erklärte Anfechtung des Prozessvergleichs vom 28.10.2010 hat nicht gem. § 142 Abs. 1 BGB zur rückwirkenden Nichtigkeit des Vergleichs geführt. Weder liegt ein zur Anfechtung berechtigender Irrtum vor (1.) noch hat die Klägerin die Anfechtung unverzüglich erklärt (2.).
1. Gemäß § 119 Abs. 1 BGB kann derjenige, der bei der Abgabe einer Willenserklärung über deren Inhalt im Irrtum war (Inhaltsirrtum) oder eine Erklärung dieses Inhalts überhaupt nicht abgeben wollte (Erklärungsirrtum), die Erklärung anfechten, wenn anzunehmen ist, dass er sie bei Kenntnis der Sachlage und bei verständiger Würdigung des Falls nicht abgegeben haben würde. Im vorliegenden Fall kommt allein ein Irrtum über den Inhalt der Erklärung in Betracht.
a) Bei einem Inhaltsirrtum entspricht zwar der äußere Tatbestand dem Willen des Erklärenden, dieser irrt sich jedoch über die Bedeutung oder die Tragweite seiner Erklärung. Nicht als...